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"Wir haben Vertrauen in die Zukunft Afrikas"

Fr, 12.01.2007
Im Gespräch mit der "Südliches Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft" (SAFRI) spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel über ihre Ziele als G8-Präsidentschaftsvorsitzende in der Afrikapolitik. Schwerpunkte sind: Entschuldung, Hilfe zur Selbsthilfe als wirksame Entwicklungszusammenarbeit sowie wirtschaftliche und soziale Reformen auf dem schwarzen Kontinent.


Das Interview im Wortlaut:
 
SAFRI: Die Beschäftigung mit dem südlichen Afrika ist für die großen Industriestaaten nicht neu. Werden Sie aber neue Akzente setzen?
 
Merkel: Im Rahmen der G8 ist in den letzten Jahren schon viel für eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent geschehen. Schwerpunkte waren die Entschuldung, politische, wirtschaftliche und soziale Reformen sowie die quantitative und qualitative Stärkung der Entwicklungshilfe. Darauf wollen wir aufbauen.
 
Wir wollen aber auch neue Akzente setzen, insbesondere was Investitionen und die wirtschaftliche Integration Afrikas angeht. Von der deutschen Präsidentschaft soll die Botschaft ausgehen: Wir haben Vertrauen in die Zukunft Afrikas. Die afrikanischen Staaten ihrerseits müssen aber auch Strukturen entwickeln, die private Investitionen erleichtern. Es geht vor allem um Demokratie, mehr Eigenverantwortung und Korruptionsbekämpfung. Die Beziehungen der G8 zu Afrika müssen als Reformpartnerschaft weiter ausgebaut werden.
 
SAFRI: Immer noch glauben viele, man könne und müsse Afrika nicht helfen – ist das Zynismus oder schlichte Arroganz?
 
Merkel: Klar ist: wir müssen Afrika unterstützen. Das ist eine Frage der politischen Vernunft und der globalen Verantwortung. Afrika etabliert sich als selbstbewusster politischer Akteur, mit zunehmender Bedeutung in der internationalen Politik. Afrika ist Europas Nachbar, wir teilen viele Probleme, denken Sie an das Thema der Migration. Auch aus wirtschaftlichen Gründen ist Afrika ein wichtiger Partner. Ich würde mich freuen, wenn noch mehr Unternehmen der SAFRI-Initiative beitreten würden, die 1996 durch Helmut Kohl ins Leben gerufen wurde und bis heute unter der Leitung von Jürgen Schrempp eine hervorragende Arbeit leistet.
 
Und genauso klar ist: Wir können Afrika nur erfolgreich unterstützen, wenn Afrika seine Entwicklung selbst konsequent vorantreibt. Pauschale Urteile über den Kontinent sind fehl am Platz. Unter dem Strich können wir in den letzten Jahren viele politische und wirtschaftliche Fortschritte feststellen: Mehr Wirtschaftswachstum, mehr demokratische Regierungen, weniger Konflikte.
 
SAFRI: Erwarten Sie eine Lösung bei den Zuwanderungsregelungen in die Europäische Union?
 
Merkel: Um die illegale Zuwanderung erfolgreich einzudämmen, müssen wir gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedstaaten deren Ursachen in den Griff bekommen. Hierzu wird die Kommission noch während unserer Präsidentschaft Vorschläge machen.
 
SAFRI: Wird es unter Ihrer Führung einen Vorstoß für die Öffnung des europäischen Marktes für Agrarprodukte Afrikas geben?
 
Merkel: Wir wollen die laufenden Verhandlungen zur weiteren Liberalisierung des Welthandels mit einem ehrgeizigen Ergebnis für die Entwicklungsländer abschließen. Nicht umsonst wurde die Verhandlungsrunde 2001 in Doha als "Entwicklungsrunde" ins Leben gerufen. Das schließt einen verbesserten Marktzugang für den Agrarbereich ein.
 
Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass die afrikanischen, pazifischen und karibischen Staaten durch die neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit der EU einen besseren Marktzugang in Europa bekommen – auch für Agrarerzeugnisse.
 
SAFRI: Traurige Tatsache ist, dass schon Milliarden Entwicklungshilfe entweder versickert oder in falsche Kanäle geflossen sind. Was erwarten Sie in diesem Zusammenhang von den Regierungen des südlichen Afrika?
 
Merkel: Ihre Behauptung kann ich so nicht akzeptieren. In der Entwicklungspolitik, auch in Afrika, hat es in der Vergangenheit wichtige Erfolge gegeben. Unsere Hilfe ist sinnvoll. Natürlich hat es auch Fehlentwicklungen geben. Unter anderem dürfen wir nicht vergessen, dass bis zum Endes des "Kalten Krieges" 1989 auch Afrika Schauplatz der Auseinandersetzungen war. Dabei wurden Mittel der Entwicklungshilfe häufig nicht nach den Kriterien von Transparenz, guter Regierungsführung oder Effizienz vergeben.
 
Aber die internationale Gemeinschaft hat dazugelernt und lernt weiter dazu – genauso wie es weitreichende Veränderungen in Afrika selbst gegeben hat. Von den Regierungen erwarten wir die ernsthafte Übernahme von Verantwortung für die Entwicklung ihrer Länder und für gute Regierungsführung. Wir beobachten gerade in Afrika hier bemerkenswerte Fortschritte, natürlich nicht überall, aber in sehr vielen Ländern: Die Zeit der demokratisch gewählten Regierungen hat in den letzten 25 Jahren in beeindruckender Weise zugenommen.
 
SAFRI: Eine in ihrer Dimension noch gar nicht voll erkannte Tragödie ist die Geißel AIDS. Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?
 
Merkel: In der Tat ist die Lage zum Teil Besorgnis erregend, auch wenn zum Beispiel Uganda bemerkenswerte Erfolge im Kampf gegen AIDS erzielt hat. Nehmen wir die Hauptstadt Kampala: 1993 waren dort 31 Prozent aller jungen schwangeren Frauen mit dem HI-Virus infiziert, 2002 waren es noch 8,2 Prozent. Im Großen und Ganzen sind solche Entwicklungen auch Folge eines Umdenkens. Denn es gibt Berechnungen, dass bis 2020 das Bruttonationaleinkommen in einigen afrikanischen Ländern um mehr als 20 Prozent fallen könnte – als Folge von HIV/AIDS.
 
Ich habe das Thema HIV/AIDS wegen seiner globalen Bedeutung auf die Tagesordnung des G8-Gipfels in Heiligendamm gesetzt. Wir werden uns vor allem auf die Verbesserung der Gesundheitssysteme, den Ausbau der Vorbeugung und die besondere Situation von Frauen konzentrieren. In Afrika sind mittlerweile mehr als 60 Prozent aller HIV-Infizierten Frauen. Wir sind bereit, mehr als bisher in die Vorbeugung und Bekämpfung von AIDS in Afrika zu investieren und dabei unser Augenmerk stärker auf die Frage zu richten, wie gerade Frauen und Kinder unterstützt werden können.
 
SAFRI: 2010 wird Südafrika Gastgeber der nächsten Fußballweltmeisterschaft sein. Durch Deutschland ging im vergangenen Jahr aus diesem Anlass buchstäblich ein Ruck. Erwarten Sie das auch mit Blick auf Südafrika?
 
Merkel: Es war ein außergewöhnlicher Sommer, den wir erlebt haben. Und die ausgelassene Stimmung der Fußball-Weltmeisterschaft wirkt weiter nach in Deutschland. Die vergangenen Weltmeisterschaften haben gezeigt, dass fast alle Veranstalterländer sehr Positives aus der Ausrichtung einer WM mitnehmen konnten. Ich wünsche auch Südafrika diese Erfahrung. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Südafrika eine bunte und fröhliche Weltmeisterschaft erleben wird – mit einer starken deutschen Mannschaft.
 
SAFRI: China und Indien, aber auch Russland, engagieren sich zunehmend in Afrika. Vor allem wenn es um Rohstoffe und auch Rüstungsgüter geht. Dabei gelten häufig nicht die gleichen entwicklungspolitischen und humanitären Maßstäbe, zu denen sich der Westen verpflichtet hat. Beunruhigt Sie das?
 
Merkel: Zunächst: Vieles, was China, Indien und andere Staaten tun, nutzt Afrika. Handel und Investitionstätigkeit zwischen diesen Ländern nehmen kontinuierlich zu. China, Indien oder Russland verfolgen aber natürlich ihre eigenen Interessen in Afrika. Dafür habe ich Verständnis, auch wenn ich mit der Art und Weise nicht immer übereinstimme.
 
Wir müssen daher zum einen in Afrika die Attraktivität unseres Weges unter Beweis stellen. Immerhin können die EU und Afrika auf eine langjährige erfolgreiche und umfassende Zusammenarbeit zurückschauen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten bestreiten über 50 Prozent der weltweiten öffentlichen Entwicklungshilfe. Wenn die EU ihre Zusage einhält, die Mittel stufenweise zu steigern, wird dieser Anteil in den nächsten Jahren sogar auf 60 Prozent wachsen. Ein beträchtlicher Teil davon kommt den Ländern Afrikas zugute. Zudem räumt die EU im Rahmen der Abkommen von Lomé bzw. Cotonou schon seit mehr als 30 Jahren den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik privilegierte Bedingungen im Handel und in der Entwicklungszusammenarbeit ein.
 
Dennoch wollen wir die europäische Entwicklungspolitik noch wirksamer machen und zum Beispiel die Abstimmung und Arbeitsteilung zwischen der Kommission und den Mitgliedsstaaten weiter verbessern.
 
Zum anderen müssen wir China, Indien und Russland an ihre wachsende internationale Verantwortung erinnern. Auch sie haben kein Interesse daran, dass Unrechtsregime in Afrika Instabilität schaffen. Wir werden deshalb im Rahmen der G8 und der Europäischen Union mit China, Indien und anderen Staaten, aber auch mit den afrikanischen Partnern in einen Dialog über diese Fragen eintreten mit dem Ziel einer fairen Partnerschaft. Vor allem beim Abbau von Rohstoffen muss ein gemeinsames Verantwortungsprinzip gelten. Afrikas Reichtum an Öl und anderen Bodenschätzen soll den Menschen in Afrika zugute kommen.
 
SAFRI: Wann wird die deutsche Bundeskanzlerin Afrika besuchen?
 
Merkel: Ich weiß es noch nicht genau, aber ich werde diesen spannenden Kontinent definitiv besuchen.