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Interview von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Ulrich Deppendorf (ARD), Markus Föderl (n-tv), Peter Frey (ZDF) und Peter Limbourg (N24) 

Do, 07.06.2007
 
beim G8-Gipfel in Heiligendamm am 07.06.2007, 15:40 Uhr:
Merkel: Ich kann mit diesem Kompromiss sehr, sehr gut leben. Ich halte ihn für einen sehr großen Fortschritt und für ein sehr gutes Ergebnis. Erstens ist es gelungen, dass alle G8-Staaten den internationalen Klimabericht, den IPCC-Bericht, mit seinen Auswirkungen und seinen Folgen anerkennen. Und es ist zum zweiten gelungen, zu sagen, dass wir darin übereinstimmen, dass wir Reduktionsziele brauchen, und zwar verpflichtende Reduktionsziele. Und es ist gemeinsam gesagt worden, dass das, was Japan, Kanada und vor allen Dingen die EU festgelegt haben, hier ernsthaft in Betracht gezogen wird, nämlich dass die Emissionen bis 2050 mindestens halbiert werden müssen, und, was für mich natürlich von allergrößter Bedeutung ist, es ist gesagt worden, dass alles im Rahmen des UN-Prozesses geschehen wird - und nicht irgendwann im Rahmen des UN-Prozesses, sondern mit einem klaren Beginn bei der Konferenz in Bali am Ende diesen Jahres. Das heißt, die Umweltminister haben jetzt den Weg frei, um mit Verhandlungen beginnen zu können, und mit einem klaren Ende, nämlich 2009, sodass wir dann wirklich ein Post-Kyoto-Abkommen haben werden. Und das ist aus meiner Sicht ein ganz, ganz wesentlicher wichtiger Schritt nach vorne, der jetzt die Umweltminister wieder mit sehr viel Arbeit versorgt.
 
Frage: Nun ist eine solche Verpflichtung nicht unbedingt bindend. Wie sicher sind Sie denn, dass die Amerikaner, dass Bush und die nachfolgenden Regierungen dann auch tatsächlich da mitziehen und dass da auch von Seiten der USA dann etwas mehr Bewegung kommt?
 
Merkel: Also bindend ist hier sowieso keines dieser Dokumente, sondern es ist die politische Erklärung, sich in einem Prozess zu bindenden Zielen zu verabreden, und zwar nach 2012. Wir stehen heute an einem Punkt, dass die Amerikaner nicht am Kyoto-Prozess teilnehmen, weil sie ihn nicht ratifiziert haben, die Kanadier gesagt haben, wir schaffen unsere Ziele nicht, wir anderen uns anstrengen müssen und nach 2012 überhaupt nichts haben. Das heißt, jetzt ist der Weg dafür frei, dass jeder sagt, wir brauchen wieder solche bindenden Verpflichtungen. Und für einige ist es besonders wichtig zu sagen, die nächsten Verpflichtungen können natürlich nicht nur von den Industriestaaten eingegangen werden – Europa hat zum Beispiel nur einen Anteil von 15 Prozent -, sondern sie müssen von allen, die auch wirklich einen großen Beitrag zu dem Problem leisten in unterschiedlicher Verantwortung - das steht auch da -, aber in der gemeinsamen Verantwortung für die Welt dann auch wahrgenommen werden. Und ich glaube, diesem Abkommen, dieser politischen Erklärung hier entkommt niemand. Das ist ein Riesenschritt nach vorne.
 
Frage: ... Wie ist es Ihnen gelungen, Bush zu überzeugen, die Verhandlungen jetzt unter dem Dach der Vereinten Nationen zu führen ...?
 
Merkel: Wir sind hier viele. Und ich habe deutlich gemacht, und das haben genauso meine Kollegen aus der EU gemacht, aber auch Japan und andere, dass die Chance, auch Schwellenländer in eine Übereinkunft zu bringen, aus meiner Sicht viel größer ist, wenn wir es ganz klar unter dem Dach der UNO machen, auch wenn sich dann natürlich die Hauptemittenten immer mal wieder in Gruppen treffen. Aber dass wir jenseits der UNO dann die überzeugen, ohne dass wir selber auch bereit sind, in dieses verpflichtende Arrangement der UNO zu gehen, das glaube ich nicht. Die Entwicklungsländer sehen die Legitimation auch für Verpflichtungen noch viel stärker in der UNO als wir das zum Teil tun. Und die UNO ist in einer globalen Welt für mich die Institution. Und wir haben darüber Übereinkunft erzielt. Und ich glaube, dass ist auch für alle Beteiligten sehr, sehr gut so.
 
Frage: Ursprünglich wollten Sie eine verpflichtende Festlegung, sowohl was die Emissionen der Treibhausgase angeht, aber auch eine Begrenzung der Erderwärmung um maximal zwei Grad. Das haben Sie doch heute nicht erreicht.
 
Merkel: Also, wir sind mit unseren europäischen Beschlüssen eingestiegen, und wir haben einen unglaublich großes Stück davon erreicht. Und das zeigt, wer nicht ambitioniert, wer nicht auch wirklich ambitioniert daran geht, der wird auch zum Schluss nichts erreichen. Und das zweite ist, durch die Anerkennung des IPCC-Berichts in all seinen Facetten - das ist auch relativ umfangreich beschrieben -, ist genau auch das anerkannt, was im IPCC-Bericht steht. Dort steht ja nicht zwei Grad genau, sondern steht 1,5 bis 2,5 Grad. Darin gibt es hier keinen Zweifel mehr. Und dass wir auch der Halbierung der Emissionen so nahe gekommen sind, das finde ich, ist ein großartiger Erfolg. Und es ist auch natürlich – das will ich ausdrücklich sagen – nicht nur der EU zu verdanken, sondern durch die sehr guten Vorschläge der EU haben sich auch Japan und Kanada ein Riesenstück bewegt. Und das hat dann zum Schluss die Gesamtbewegung ermöglicht.
 
Frage: Was war der schwierigste Punkt bei diesen Verhandlungen? Und wie ist es Ihnen gelungen..., die Kuh vom Eis zu bringen?
 
Merkel: Der schwierigste Punkt war sicherlich, die Halbierung der Emissionen mindestens bis 2050 überhaupt unterzubringen, und nicht als etwas, was früher noch als unrealistisch galt, sondern heute als notwendig für die Zukunft zu sehen. Das ist aus meiner Sicht der schwierigste Schritt gewesen. Die anderen, an denen hatten wir schon mehrere Tage vorher gearbeitet. Und diese sehr, sehr klare Sprache, die, wie ich finde, keine Ausflucht ermöglicht, nämlich nicht einfach von Framework zu sprechen im Rahmen der UNO, sondern von Agreement zu sprechen, also diese wirkliche Vereinbarung im Vertrag, das ist schon sehr, sehr gut. Und da zeigt sich, dass Europa hier auch richtig gelegen hat, doch manche Dinge nicht zu früh fallen zu lassen, sondern bis zum letzten Punkt auch dabei zu sein.
 
Frage: Sie haben vorhin die Schwellenländer mehrmals erwähnt. Heißt das auch, dass eigentlich die kommenden G8-Gipfel ohne die Schwellenländer gar nicht mehr auskommen können? Müssen die nicht dabei sein? Sie haben jetzt den "Heiligendamm-Prozess" eingeleitet. Ist der jetzt bindend, oder ist das auch eher eine vage Verpflichtung?
 
Merkel: Nein, der ist für die nächsten zwei Jahre jetzt erst einmal vereinbart. Auch ein ziemlich guter Erfolg auf dem Dach oder auf der Plattform der OECD. Die Schwellenländer waren früher gegenüber der OECD immer sehr skeptisch, weil das ja letztlich eine Vereinigung der Industriestaaten ist. Aber wir hatten kein besseres internationales Dach gefunden. Und hier werden jetzt säulenweise auch Themen abgearbeitet. Das heißt nicht, dass man sich einmal im Jahr einen halben Tag trifft, sondern dass man über Schutz des geistigen Eigentums spricht, über Investitionsfreiheit spricht, über Wachstumsverwerfungen und Probleme. Und ich glaube, dass wir dann, wenn wir uns die zwei Jahre anschauen, wir zu der
 
Überzeugung kommen werden, dass dieser strukturierte Dialog fortgesetzt werden muss. Für eine Erweiterung ist es zu früh. Wenn wir uns heute zum Beispiel vorstellen, wir hätten hier mit 13 Ländern gesessen, dann hätten wir bestimmt 80 Prozent der Zeit darüber gesprochen, ob nun die Schwellenländer heute schon Verantwortung übernehmen müssen, oder ob die Industrieländer über 100 Jahre alles verursacht haben. Und dass wir uns damit nicht aufgehalten haben, sondern dass wir als Industrieländer erst mal gesagt haben, wir müssen jetzt den ersten Schritt gehen, das ist viel effektiver. Und so wird es auch noch eine Weile lang bleiben.
 
Frage: Vor den Toren von Heiligendamm wird demonstriert, es gibt Blockaden. Greenpeace hat versucht, mit Schlauchbooten hier rein zu kommen. Fühlen Sie sich hier etwas belagert? Und wie nehmen vor allen Dingen Ihre Kollegen diesen Belagerungszustand wahr?
 
Merkel: Also, Greenpeace hat auch schon seriösere Unterfangen gemacht im Zusammenhang mit dem Klimaschutz, muss ich sagen. Ich hoffe, sie werden nicht allzu viel CO2 emittieren mit ihren Bootsfahrten dort auf der Ostsee. Ich finde, dass wir heute hier gute Arbeit geleistet haben, uns um das gekümmert haben, was wichtig ist für die Welt. Und meine Kollegen nehmen das hier als eine sehr angenehme Atmosphäre wahr. Ich sage noch mal: Friedliche Proteste ja, aber die Frage, wie weit man sich nun konstruktiv beteiligen soll, die muss dann jeder entscheiden. Für Gewalt, das will ich dann auch noch mal sagen – nicht im Zusammenhang mit Greenpeace – gibt es keine Entschuldigung.
 
Frage: Viele der friedlichen Demonstranten kritisieren, dass in Sachen Afrika nicht mal die Verpflichtung an die Versprechungen von Gleneagles eingehalten werden. Was kann Afrika von diesem Gipfel erwarten?
 
Merkel: Also, ohne Gleneagles würden wir zum Beispiel in der Bundesrepublik Deutschland nicht die größten Steigerungen in unseren Budgets haben bei der Entwicklungshilfe. Und wir fühlen uns und ich fühle mich den Zielen für 2010 verpflichtet. Da wird abgerechnet. Da sind sehr anspruchsvolle Ziele vereinbart worden. Aber das Thema Afrika steht hier ganz hoch auf der Tagesordnung. Dass das für uns alle nicht ganz einfach ist, ist klar. Aber die Afrika-Erklärung selbst haben wir auch noch gar nicht beraten. Das wird noch kommen. Und die Diskussion mit den Afrikanern ja auch.
 
Frage: Sie haben ja bei verschiedenen Gelegenheiten zwischen Bush und Putin gesessen. Hatten Sie hier so eine Art Vermittlerrolle zwischen den beiden?
 
Merkel: Also ich sitze ja immer zwischen Präsident Putin und Präsident Bush. Das ist so, dass der Gastgeber da immer in der Mitte sitzt. Das war voriges Jahr auch so, dass jedenfalls beide nebeneinander gesessen haben, als Putin der Gastgeber war. Das ist nicht nötig. Die beiden treffen sich zur Stunde gerade zu einem bilateralen Gespräch. Und ich habe den Eindruck, dass alle Beteiligten hier in einer sehr konstruktiven Atmosphäre zusammen sind, das hat auch das Ergebnis heute erst möglich gemacht. Und es gibt eine wirklich sehr lockere und entspannte Atmosphäre selbst bei Punkten, wo wir natürlich auch mal Meinungsverschiedenheiten haben. Und die schöne Landschaft hier tut vielleicht das ihrige.
 
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