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"Wir brauchen einen ausgewogenen Energiemix in Deutschland."

Di, 09.01.2007
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich in einem Interview im ARD-Morgenmagazin über Energiepolitik. Sie spricht sich für ein enges Verbundnetz in Europa aus, um sich bei Engpässen gegenseitig zu helfen. Darüber hinaus schlägt sie einen Weg aus der Krise der europäischen Verfassung vor.


Das Interview im Wortlaut:
 
Morgenmagazin: Wo immer man, Frau Bundeskanzlerin, im Augenblick hinkommt, überall gibt es eine riesige Erwartungshaltung gegenüber Deutschland, aber auch ganz persönlich ihnen gegenüber. Macht Ihnen das manchmal Angst, müssen Sie sich da nicht überfordert fühlen?
 
Bundeskanzlerin Angela Merkel: Auf der einen Seite gehe ich mit Freude - wie die ganze Bundesregierung - an die Aufgabe dieser Präsidentschaft, auf der anderen Seite dämpfen wir natürlich auch manche Erwartung. Und denen, die Erwartungen äußern, sage ich, dass wir nur dann, wenn alle bereit sind, Kompromisse einzugehen, neue Schritte zu wagen, Europa nach vorn bringen. Ich glaube, dieser gemeinsame Wille ist an vielen Stellen schon da. Jetzt werden wir die Probleme, die zu lösen sind, auch angehen.
 
Morgenmagazin: Ein Schwerpunkt wird die Krise der europäischen Verfassung sein. Selbst erfahrene Europäer sind da eigentlich ziemlich ratlos. Frau Bundeskanzlerin was kann man da realistisch noch machen, um diese Krise zu lösen?
 
Merkel: Ich habe nach dem Rat im Dezember, noch unter finnischer Präsidentschaft, den Eindruck, dass alle wissen, wir können nicht in die Europa-Wahl gehen, ohne nicht wesentliche Probleme gelöst zu haben: Wie wird abgestimmt, haben wir einen europäischen Außenminister, wie sind die zukünftigen Zusammensetzungen der Kommission?

Aus dieser gemeinsamen Erkenntnis ergibt sich dann aus meiner Sicht auch die Möglichkeit, Lösungen zu finden. Wir müssen das Problem des Verfassungsvertrages nicht selber lösen, sondern wir müssen einen Fahrplan erarbeiten. Das ist jedenfalls die Hoffnung und die Erwartung. Daran werden wir intensiv arbeiten.
 
Morgenmagazin: Aber es nicht denkbar, dass Sie erneut einen Entwurf hinlegen, der ein paar Hundert Seiten stark ist.
 
Merkel: Es ist denkbar - ich glaube, so werden wir auch vorgehen -, dass wir von dem jetzigen Entwurf aus starten und dass wir natürlich mit allen Mitgliedstaaten konsultieren, wer hat wo Bedenken, wer hat welche ganz konkreten Erwartungen und Veränderungswünsche. Auf der Basis muss man dann einmal schauen, was wir machen können. Aber wir fangen nicht von Neuem an, wir fangen auch nicht wieder an, neue Konvente einzuberufen. Das hielte ich für ganz falsch.
 
Morgenmagazin: Sie sagen, am Ende soll ein Fahrplan daliegen. Was soll das heißen, ein Fahrplan?
 
Merkel: Das heißt, dass wir dann doch Aussagen machen darüber, wie kommen wir bis zur Europa-Wahl 2009 in verschiedenen Schritten zu einer abstimmungsfähigen Verfassungsvertragsgrundlage. Das heißt, wie kommen wir dazu, dass dann auch die Ratifizierungsprozesse in den einzelnen Mitgliedstaaten erfolgreich stattfinden können.

Wir haben  eine sehr unterschiedliche Situation. In 18 Mitgliedstaaten haben wir den Verfassungsvertrag ratifiziert, dazu gehört auch Deutschland. Wir haben bestimmt noch zwei, drei, die das auch tun würden. Und dann haben wir andere Mitgliedstaaten, da sind die Volksabstimmungen gescheitert oder es gibt massive Bedenken. Und das muss jetzt zusammengeführt werden. Das geht nicht in einem halben Jahr. Aber in einem halben Jahr sieht man, was kann in den nächsten Schritten passieren.
 
Morgenmagazin: Wenn Sie alles zusammenfassen, wenn heute die EU-Kommission zu ihnen kommt, was wird dann die Botschaft sein?
 
Merkel: Die Botschaft an die Kommission wird sein, dass wir vorbereitet sind, dass wir unseren Beitrag leisten wollen, dass wir in ganz engem Kontakt mit den einzelnen Kommissaren arbeiten wollen.

Und ich glaube, uns eint dann das gemeinsame Verständnis, dass Europa wirtschaftlich stark sein muss, dass es den Menschen ein Stück Sicherheit geben muss, dass es sich lohnt, auf diesem Kontinent und in dieser Europäischen Union zu leben, und zwar Sicherheit in Bezug auf soziale Fragen, aber auch Sicherheit in Bezug auf Terrorismusbekämpfung, auf Kriminalität und andere Probleme.

Wenn man einmal die junge Generation sieht, dann hat die sich schon sehr daran gewöhnt, mit Europa zu leben, in Europa zu studieren, Abschlüsse zu haben. Und all das werden wir auch im Laufe unserer Präsidentschaft den Menschen sagen. Es ist fast nicht mehr vorstellbar, dass wir diese Europäische Union nicht haben. Sie ist auch ein Schatz in der Globalisierung, damit wir unsere Kräfte bündeln können.
 
Morgenmagazin: Schauen wir nach Osten zu unseren unmittelbaren Nachbarn. Da hat uns jetzt die Meldung aufgeschreckt, dass Weißrussland die Ölleitung unterbrochen hat. Wie ernst muss man das nehmen, Frau Bundeskanzlerin, wie ernst nehmen Sie das?
 
Merkel: Dieser Vorfall hat natürlich noch keine akute Gefährdung unserer Energieversorgung mit sich gebracht. Aber es ist immer wieder so, dass in den letzten Jahren halt bei der Transitfrage doch eine Reihe von Problemen aufgetreten sind. Wir brauchen Rechtsicherheit, wir brauchen Vertragssicherheit an dieser Stelle.

Diese Vertragssicherheit, das zeigt sich jetzt, muss sich eben auch über die Transitländer erstrecken. Man kann nicht so tun, als ob alles nur vom Ausgangspunkt zum Endpunkt geht. Und ich glaube, dass wir da auch intensive Gespräche führen werden. Das alles bestätigt mich darin, dass wir einen umfangreichen, ausgewogenen Energiemix in Deutschland brauchen.
 
Morgenmagazin: Sie sagen, es werden Gespräche geführt. Werden Sie sich da auch selber einbringen?
 
Merkel: Wir haben vor uns das Verhandeln über ein EU-Russland-Abkommen. Das Verhandeln macht die Kommission. Aber natürlich hat die Präsidentschaft hier auch eine wichtige Aufgabe, natürlich werden wir uns dort einbringen.

Ich werde am 21. Januar nach Moskau reisen, werde auch mit dem russischen Präsidenten darüber sprechen. Ich hoffe, dass wir auch in absehbarer Zeit die Blockade dieser Verhandlungen noch wegbekommen können, das heißt, dass wir sie jetzt über ein solches Kooperationsabkommen aufnehmen können. Auf dieser Basis wird natürlich auch die Präsidentschaft versuchen, ihren Beitrag zu leisten.
 
Morgenmagazin: Zeigt sich nicht, dass Deutschland sich zu sehr abhängig macht von Energielieferungen aus Russland?
 
Merkel: Wir sind nun wahrlich nicht die Einzigen, die abhängig sind von Energielieferungen aus Russland oder aus anderen Teilen der Welt. Ich glaube, es ist richtig, mit Russland Beziehungen einzugehen. Russland hat im kalten Krieg der alten Bundesrepublik immer zuverlässig Energieträger geliefert.

Aber es ist auch klug, sich nicht einseitig von einem Lieferanten abhängig zu machen. Deshalb wird man auch über verflüssigtes Erdgas nachdenken, wie zum Beispiel jetzt den Bau eines großen Terminals in Wilhelmshaven. Deshalb muss man Energie sparen, deshalb muss man auf erneuerbare Energien setzen. Deshalb muss man sich natürlich auch überlegen, was für Folgen hat es, wenn wir Kernkraftwerke abschalten.
 
Morgenmagazin: Deutschland baut seine eigene Pipeline direkt von Russland durch die Ostsee unter Umgehung von Weißrussland und Polen. Aber zeigt sich jetzt nicht doch, dass die Sorgen der Polen berechtigt sind, wenn Weißrussland jetzt zum Beispiel die Energieversorgung, die Ölleitung einfach abschließt?
 
Merkel: Wir haben den Polen auch gesagt - das wird auch unsere Politik innerhalb der Europäischen Union sein -, dass wir keine Projekte gegen ein Mitgliedsland machen. Das heißt, wir werden auch darüber nachdenken müssen, ob wir aus Deutschland uns die Möglichkeit erarbeiten, Gas wieder zurück nach Polen zu leiten, aus dem, was in Deutschland ankommt. Dazu gibt es durchaus erste Gedanken.

Und ich plädiere sowieso dafür, dass es ein enges Verbundnetz in Europa gibt, so dass im Fall von Engpässen, die Möglichkeit besteht, dass europäische Länder sich untereinander in bestimmten Situationen helfen können.
 
(Das Interview führte Werner Sonne.)