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Aktionsplan für Klimaschutz und Energiepolitik

Mo, 05.03.2007
Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Zielen des EU-Gipfels diese Woche in Brüssel. Die Kanzlerin erwartet einen Beschluss, dass die Mitgliedsstaaten die Treibhausgase bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent reduzieren.


Das Interview im Wortlaut:
 
Süddeutsche Zeitung: Frau Bundeskanzlerin, haben Sie zuhause schon Ihre Energiesparlampen gezählt?

Angela Merkel: Ich habe viele Energiesparlampen zuhause. Leider haben sie noch nicht durchgängig die gleiche Lichtqualität wie Glühlampen, aber sie werden besser.

SZ: Da kann Sie ja das Schicksal Al Gores nicht ereilen, dessen privater Stromverbrauch weit über dem amerikanischen Durchschnitt liegt.

Merkel: Mit Al Gores Stromrechnung habe ich mich ehrlich gesagt noch nicht befasst. Aber wo wir gerade dabei sind: Acht Prozent ihrer Stromrechnung geben die privaten Haushalte im Durchschnitt für Beleuchtung aus.
 
Würde man in Deutschland alle herkömmlichen Glühlampen durch Energiesparlampen ersetzen, dann sparte man 6,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen.
 
Zum Vergleich: Unsere notwendigen Bemühungen zur Altbausanierung bringen gut eine Million Tonnen Einsparung an CO2. Wir müssen also ein Gefühl dafür entwickeln, wie wirkungsvoll welche Maßnahme ist. Sonst beschränken wir uns auf Symboldiskussionen.

SZ: Wie viel Symbolik leistet sich die EU diese Woche beim Gipfel? Die Abschlusserklärung ist gespickt mit Vorschlägen zu Klima- und Energiepolitik. Wie aber lässt sich das umsetzen?

Merkel: Wir werden einen Aktionsplan für Klimaschutz und Energiepolitik verabschieden, und zwar so konkret, wie es ihn in der Geschichte der Europäischen Union noch nicht gegeben hat.
 
Das ist ein umfassender Komplex, der neben Klimaschutz und Nachhaltigkeit die Energieaußenbeziehungen sowie den Binnenmarkt, Wettbewerb und Umweltschutz einschließt. Es werden zum ersten Mal Einzelziele festgelegt, mit denen man die Gesamtverpflichtungen zur Minderung der Treibhausgase bis 2020 umsetzen kann.
 
Jetzt ist allen bewusst, dass es sich um ein ernsthaftes, lange andauerndes, globales Problem handelt, das nicht durch das übliche Tagesgeschäft bewältigt werden kann.
 
Es gibt ein gemeinsames Grundverständnis in der Europäischen Union, dass wir eine Vorreiterrolle in der Welt einnehmen müssen, wenn wir auch international die Verpflichtungen anderer Länder wie der USA, China und Indien einfordern wollen.

SZ: Dennoch bleibt die Frage, was die Ankündigungen der Europäer wert sind. Beispiel erneuerbare Energien, wo der Anteil am gesamten Energie-Mix auf 20 Prozent gesteigert werden soll. Sie möchten ein bindendes Ziel, aber dagegen gibt es erheblichen Widerstand, obwohl es ein kleiner Schritt wäre...

Merkel: ... na, ein kleiner Schritt ist das mit Sicherheit nicht.

SZ: ... der allemal wenig nutzt, wenn er nicht bindend verabredet wird.

Merkel: Ich kann den Ergebnissen des Rates nicht vorgreifen. Der Ernst der Situation beim Weltklima wurde uns gerade erneut durch den zweiten Teil des UN-Umweltberichts vor Augen geführt.
 
Die EU hat sich im Kyoto-Protokoll verpflichtet, die CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2012 um acht Prozent zu reduzieren. Deutschland allein trägt übrigens fast drei Viertel dieser europäischen Reduktion.
 
Jetzt wollen wir beschließen, dass die EU unabhängig von den internationalen Verhandlungen bis zum Jahr 2020 die Treibhausgase um 20 Prozent reduzieren wird. Das sind in den verbleibenden acht Jahren noch mal 12 Prozent statt in 22 Jahren acht Prozent. Das ist sehr ambitioniert und wird weitreichende Auswirkungen haben.

SZ:... und muss, siehe oben, erst einmal umgesetzt werden.

Merkel: Neu an der Diskussion ist, dass wir die Ziele konkret herunterbrechen: Mit 20 Prozent mehr Energieeffizienz, mindestens zehn Prozent Beimischung von Biokraftstoffen als bindende Ziele.
 
Dazu kommt die Diskussion um den konkreten Anteil erneuerbarer Energien. Da gibt es bei vielen Staaten der EU die hohe Bereitschaft, 20 Prozent auch als bindendes Ziel zu erreichen.

SZ: Bindend ist also bindend.

Merkel: Wir wollen im Rat darüber reden, noch einmal: Ich kann und will den Ergebnissen des Rates nicht vorgreifen.

SZ: Wie können Sie garantieren, dass diese Programme nicht das gleiche Schicksal erleiden wie etwa die Lissabon-Strategie der EU, die Europa einst zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt machen wollte?

Merkel: Die Lissabon-Strategie hat ja schon erhebliche Erfolge gebracht. Ansonsten zeigt die intensive Diskussion im Rat, dass es nicht irgendeine Absichtserklärung ist. Es geht auch darum, dass die EU internationale Verhandlungen glaubwürdig führen kann.

SZ: Geredet werden muss also über die Zeit nach 2012, wenn der Kyoto-Vertrag ausläuft.

Merkel: So ist es. Wir brauchen eine Diskussion der Staats- und Regierungschefs, um den Umweltministern für die UN-Klimakonferenz im Herbst politische Leitlinien mit auf den Weg zu geben.
 
Deshalb werden wir jenseits der europäischen Ziele, die wir nächste Woche beschließen wollen, das Thema auf die G8-Agenda setzen, wenngleich das ein dickes Brett ist, das da zu bohren ist.
 
In Heiligendamm haben wir zusätzlich die Möglichkeit, auch mit China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika die Probleme zu besprechen.

SZ: Da haben Sie eine Aufgabe für die Zeit nach der Ratspräsidentschaft.

Merkel: In der Tat wird das Thema weiter über die Ratspräsidentschaft hinaus von entscheidender Bedeutung sein. Ich werde mich bei den G8-Staaten und darüber hinaus dafür einsetzen.
 
Wer sich nicht bemüht, wird auch nichts erreichen. Europa muss seine Vorreiterrolle wahren, auch in der Umwelttechnologie. In den USA beginnt jetzt ein Umdenken. Wenn die ein Problem erst einmal erkannt haben, entwickeln sie hohen Ehrgeiz, es zu lösen.

SZ: Da wächst Konkurrenz in der grünen Branche.

Merkel: Was in den USA bei der Entwicklung von Biokraftstoffen stattfindet, ist bemerkenswert. Wir werden erhebliche Veränderungen in der Landwirtschaft bekommen durch die Nutzung nachwachsender Rohstoffe.
 
Wir können gewaltige Subventionen einsparen, wir werden aber auch Preisveränderungen in bestimmten Sektoren haben, wenn die Märkte nicht ausreichend vorbereitet sind - denken Sie nur an das Holz. Dort gibt es eine große Nachfrage durch die vielen neuen Holzheizungen und dadurch kurzfristig auch Preissteigerungen.
 
Wenn wir bestimmte Anreize setzen, etwa zur Förderung der Biomasse, ergeben sich daraus ziemlich schnell Verschiebungen in der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen richtig setzen.

SZ: Europäische Rahmenbedingungen sind schön und gut, aber es wird doch immer noch stark in nationalstaatlichen Kästen gedacht.

Merkel: Es findet ein Paradigmenwechsel statt. Bisher haben die Nationalstaaten im Wesentlichen ihre eigene Energiepolitik gemacht. Wir wissen, welche Energiequellen die einzelnen Staaten nutzen, welche langfristigen Verträge sie abgeschlossen haben.
 
Und jetzt müssen wir uns zum Beispiel fragen: Was bedeutet Solidarität in Energiefragen? Was, wenn in Polen etwa die Versorgung knapp wird? Zur Zeit haben wir keine Pipelines, mit denen wir von West nach Ost liefern könnten. Wir haben Stromnetze, die nicht ordentlich miteinander verbunden sind.
 
All dies kommt jetzt auf den Tisch. Das ist übrigens ein Grund mehr, sich mit dem europäischen Verfassungsvertrag zu befassen, denn eine Kompetenz für die Energiepolitik wird erst mit dem Vertrag an die Europäische Union übertragen.

SZ: Das Gezänk der Nationalstaaten bei den Übernahmeversuchen nationaler Energieversorger zeugt nicht gerade von europäischem Energiebewusstsein.

Merkel: Der Energieaktionsplan ist das erste gemeinsame Energiedokument überhaupt. Das nationale Denken wird derzeit bereits am Markt aufgebrochen, das ist eine schwierige und zugleich interessante Phase.
 
Wenn sich zum Bespiel die Gebote um Endesa, einen spanischen Versorger, häufen, dann ist das eine neue Erfahrung für den bisher abgeschotteten spanischen Markt. Da sollte sich die Politik nicht einmischen.
 
Kümmern sollte sich die EU darum, dass wir bei Öl und Gas von externen Lieferanten wie Russland und anderen zuverlässige und tragfähige Versorgungszusagen haben.

SZ: Wie geht die EU um mit ihrem schwierigen Hauptversorger Russland?

Merkel: Vor einem Jahr hat die EU erstmals über Energieaußenpolitik gesprochen. Deshalb haben wir den russischen Präsidenten Putin zu diesem Thema eingeladen. Auch in den Verhandlungen mit Russland über das neue Kooperationsabkommen werden wir das Thema Energiesicherheit aufnehmen.
 
Verlässlichkeit in den Energiebeziehungen ist für die EU entscheidend. Die EU wird auch darauf achten, nicht nur einseitige Energiebeziehungen zu entwickeln.

SZ: Gibt es überhaupt eine einheitliche europäische Wahrnehmung Russlands? Besonders osteuropäische Staaten interpretieren doch das Verhalten Russlands anders als etwa Deutschland.

Merkel: Wichtig ist, dass die Europäische Union in ihren Treffen mit Russland als Gemeinschaft auftritt. Europa gelingt nur gemeinsam. Wir müssen in der EU die Sicherheit schaffen, dass wir bei Schwierigkeiten miteinander solidarisch sind.
 
Diese politische Botschaft ist zwingend. Wir sind dabei erst in der Anfangsphase. Bislang haben wir vor allem national gedacht. Jetzt beginnen wir, europäisch zu denken. Das ist eine neue Qualität.

SZ: Benutzt Russland Gas und Öl als politische Waffen?

Merkel: Wir haben über Jahrzehnte als Europäer Russland als zuverlässigen Energielieferanten erlebt - selbst in den Zeiten des Kalten Krieges.
 
Jetzt, wo Russland in Transitländern und ehemaligen Partnerländern marktwirtschaftliche Preise durchsetzen will, hat es Schwierigkeiten gegeben. Mein Eindruck ist, dass Russland weiß, dass es letztlich für seine eigene Entwicklung als verlässlicher Partner gelten muss.

SZ: Das mag ja für gute Zeiten gelten. Aber was ist in den schlechten? Gibt es da nicht ein strategisches Ungleichgewicht zwischen Kunde und Lieferant?

Merkel: Wir setzen darauf, dass Russland ein verlässlicher Partner ist. Deshalb unterstütze ich grundsätzlich, dass Russland sich auch in Europa wirtschaftlich engagiert. Genauso wie wir natürlich ein Interesse daran haben, Eigentumsrechte an russischen Erdgasfeldern oder an deren Ausbeute zu erwerben.
 
Gute Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der EU können aber nur auf Gegenseitigkeit beruhen.

SZ: Dann müssten Sie auch den Rüstungs- und Luftfahrtkonzern EADS für russische Investoren öffnen.

Merkel: Wir sollten derzeit keine weiteren Anteilseigner in den Aktionärspakt von EADS dazu nehmen. Aber ich unterstütze eine engere industrielle Kooperation im Flugzeugbau, so wie EADS es schon begonnen hat.

SZ: Das ist nicht ganz schlüssig.

Merkel: Doch, das ist schlüssig, weil EADS auch den sensiblen Rüstungsbereich enthält.


SZ: Aber wie ist denn die Stimmung mit Russland wirklich? Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hat sich Wladimir Putin tief frustriert gezeigt. Er hat sich über die Raketenabwehrpläne der USA beschwert. Nun ist das zwar eine Sache der Nato, aber so einfach von der EU trennen kann man das doch auch nicht.

Merkel: Es ist in der Tat ein Thema der Nato, die bereits seit einigen Jahren darüber diskutiert. Darüber muss jetzt deshalb auch weiter im Nato-Russland-Rat geredet werden.
 
Es handelt sich um ein rein defensives System, das in keiner Weise gegen Russland gerichtet ist. Wir wollen gute Beziehungen zu Russland. Wir sollten das Raketen-Thema im Übrigen nicht mit der Energiefrage verbinden.

SZ: Haben Sie denn mit den Amerikanern über den Sinn der Raketen gesprochen?

Merkel: Ich finde es angebracht zu überlegen, wie man sich gegen mögliche Raketen wappnet aus Regionen, die wir zu Zeiten des Kalten Krieges so nicht im Blick haben mussten. Wir müssen und können darüber aber intensiver kommunizieren.

SZ: Wie kommt der Verfassungsprozess der EU wieder in Gang? Gibt es noch ausreichend gemeinsame Visionen und Kraft unter den Mitgliedern?

Merkel: Ohne Zweifel eine schwere Aufgabe, wenngleich in allen Mitgliedsstaaten das Gefühl herrscht, dass Europa in einer sehr entscheidenden Phase ist und dass die bisherigen vertraglichen Grundlagen für die Bewältigung der Zukunftsausgaben nicht ausreichen.
 
Die Gründe für Europa im 21. Jahrhundert werden in der Berliner Erklärung zum 50. Geburtstag der EU am 25. März ihren Niederschlag finden. Vor uns steht eine Europawahl 2009, bei der wir den Bürgerinnen und Bürgern Rechenschaft ablegen wollen und müssen.

SZ: Frau Merkel, vor der Europawahl und der von Ihnen gewünschten Vollendung der Reform im Frühjahr 2009 beginnt die Überprüfung der Haushaltsstruktur der EU. Könnte es sein, dass der politische Fortschritt wieder mit Geld für die Skeptiker erkauft werden muss?

Merkel: Es geht nicht um Deals. Deshalb wollen wir - und so hat es der Europäische Rat festgelegt - die Entscheidungen zur Verfassung spätestens im zweiten Halbjahr 2008 unter der französischen Präsidentschaft treffen, damit wir den Bürgerinnen und Bürgern bei der Europawahl sagen können, wie es weitergeht.

Mit freundlicher Genehmigung der Süddeutsche Zeitung.