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Wieczorek-Zeul: "Wir tun genau das, was die Demonstranten fordern"

Mo, 04.06.2007
Auf dem bevorstehenden G8-Gipfel will die Bundesregierung intensiv für Investitionen auf dem Nachbarkontinent Afrika werben, insbesondere für mehr der so genannten Mikrokredite. Darüber und über die schädlichen Agrarexportsubventionen der Industrieländer spricht Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.


Das Interview im Wortlaut:

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, die Bundesregierung hat jetzt eine Erhöhung ihrer Entwicklungshilfe angekündigt. Worum genau geht es?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: In Absprache zwischen Bundeskanzlerin, dem Finanzminister und mir haben wir vereinbart, für mindestens vier Jahre jeweils 750 Millionen Euro zusätzlich zum Kampf gegen Armut, gegen Aids und für den Klimaschutz vor allem in Afrika zur Verfügung zu stellen.
 
So wollen wir unsere Verpflichtungen erfüllen, die wir vor zwei Jahren beim G-8-Treffen in Gleneagles eingegangen sind: 2010 die Hilfe für Afrika gegenüber 2004 zu verdoppeln.
 
Wir wollen damit eine wichtige Ausgangsposition schaffen, um unsere Koalitionsvereinbarungen zu erfüllen, bis 2010 nämlich 0,51 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben; 2006 waren es erst 0,36 Prozent.
 
Und Entwicklungshilfe wirkt: Wenn wir 100 Millionen Euro geben, können damit 600.000 Kinder in Afrika zusätzlich in die Schule gehen.

FAZ: Wollen Sie mit Ihrer Ankündigung nicht vor allem den G8-Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen? Geht es nicht nur um Symbolik?


Wieczorek-Zeul: Überhaupt nicht. Ich bin seit Wochen diejenige, die sagt, dieser Gipfel muss klare Signale an Afrika senden, er muss zeigen, dass wir als G8 die Hoffnungen dort unterstützen.
 
Wir wollen die Potentiale des Kontinents fördern. Vielleicht sehen die Demonstrierenden nun aber auch: Vieles von dem, was sie oder manche Nichtregierungsorganisation fordern, ist genau das, was wir auf dem Gipfel für Afrika tun.

FAZ: Das heißt, Sie haben Verständnis für die Demonstranten?

Wieczorek-Zeul: Es gibt viele Nichtregierungsorganisationen, die für eine gerechtere Welt demonstrieren. Das ist auch mein Ziel, das ist auch unser Ziel. Aber Gewalt ist völlig inakzeptabel.
 
Die Ereignisse vom Wochenende sind erschütternd. Ich erinnere an Bob Geldof, der gesagt hat, das Ziel der Initiativen ist: "Deine Stimme gegen Armut und nicht Deine Faust gegen Armut".

FAZ: Sind die Sicherheitsmaßnahmen nicht zu streng - und zu teuer?


Wieczorek-Zeul: Das kann ich nicht beurteilen, das müssen die für die Sicherheit Zuständigen beurteilen. Meine Idealvorstellung ist natürlich der Gipfel 1999 in Köln ...

FAZ: ... da gab es noch Lichterketten

Wieczorek-Zeul: ... ja, da standen wir als Regierungsmitglieder Hand in Hand mit Bischof Kamphaus und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen. Aber danach gab es den 11. September, viel hat sich geändert. In Heiligendamm sollen sich unsere Gäste in Sicherheit treffen können.

FAZ: Was kann Heiligendamm bringen? Beim Klimaschutz wird es vielleicht keine Ergebnisse geben. Und bei Afrika?


Wieczorek-Zeul: Ich bin sicher, dass es da ein gutes Ergebnis gibt. Wir wollen, dass Afrika endlich als ein Kontinent von Perspektiven wahrgenommen wird, als Nachbar Europas, bei dem es auch erfreuliche Entwicklungen zu verzeichnen gibt.
 
Wir wollen zeigen, dass wir den in Gleneagles beschlossenen Schuldenerlass auch in die Tat umsetzen - und wir wollen um Investitionen für Afrika werben, die dürfen nicht allein China überlassen werden.
 
Vor allem möchten wir, dass die Mikrofinanzkredite verstärkt werden. In Kongo haben wir kürzlich die "Pro Credit Bank" besucht, da stecken 1,4 Millionen Euro deutsche Entwicklungshilfe drin - inzwischen ist das eine blühende Bank, die den Armen, zumal den Frauen, Kredite gibt und damit hilft, aus elenden Lebensverhältnissen herauszukommen.
 
Ein anderer Schwerpunkt in den Beschlüssen von Heiligendamm wird die Bekämpfung von Aids sein.

FAZ: Aber müssen die Afrikaner nicht mehr Eigenverantwortung übernehmen?

Wieczorek-Zeul: Absolut. Sie haben ja selbst Nepad gegründet, ein Projekt, dem schon viele Länder beigetreten sind und das das Regierungshandeln von unabhängigen Fachleuten überprüfen und Korruption aufdecken und beenden soll ...

FAZ: ... und von dem der senegalesische Präsident Wade sagt, er sei ein uneffektiver Papiertiger. Müssten wir nicht mehr Druck machen auf die Regierungen in Afrika? Manche sagen, die Entschuldungsprogramme belohnten geradezu schlechtes Regierungshandeln.

Wieczorek-Zeul: Nein, das ist falsch. Noch mal: Durch unsere Entschuldung können heute 20 Millionen Kinder mehr in die Schule gehen als früher, das ist eine dramatisch positive Veränderung. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist die Zahl der Armen auf der Welt unter eine Milliarde gesunken.

FAZ: Nicht in Afrika: 1970 lebten dort zehn Prozent von einem Dollar oder weniger am Tag, heute sind es dreißig Prozent.

Wieczorek-Zeul: Die letzten Jahre zeigen, dass es möglich ist, die Armut zu reduzieren, wenn man gemeinsam handelt. Sie müssen zudem sehen, dass sich die Weltbevölkerung in den letzten vierzig Jahren fast verdoppelt hat.

FAZ: Aber tut der Westen wirklich das Richtige, um Afrika zu helfen? Wir überschwemmen mit unseren Agrarprodukten die afrikanischen Märkte, auf afrikanischen Produkten liegen hohe Einfuhrzölle. Manche sagen, die Hilfe für Bauern in Industrieländern richte größeren Schaden an, als die Entwicklungshilfe wiedergutmachen könne.

Wieczorek-Zeul: Für die armen Länder ist das doch keine Alternative. Sie brauchen Hilfe, um überhaupt vom Handel profitieren zu können, sie müssen erst einmal von ihrem Recht, etwas zu exportieren, Gebrauch machen können.
 
Beides ist nötig. So darf die hervorragende westafrikanische Baumwolle nicht mehr auf den Weltmärkten benachteiligt werden, etwa weil die Vereinigten Staaten ihre Baumwolle subventionieren.
 
Und Sie haben recht: Es geht auch darum, die Agrarexportsubventionen der Industrieländer zu beenden, so wie wir es versprochen haben. Damit werden in der Tat lokale Märkte zerstört.
 
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