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"Wir haben große Aufgaben vor uns"

Mo, 04.06.2007
G8-Gipfel in Heiligendamm, und zu Hause türmen sich die Probleme: Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung widerspricht Thomas de Maizière, Chef des Bundeskanzleramts und Regierungskoordinator, dem Eindruck, den Koalitionspartnern gehe die Lust auf gemeinsame Politik aus.


Das Interview im Wortlaut:
 
Süddeutsche Zeitung: Herr de Maizière, vor dem G-8-Gipfel gibt es Streit zwischen der Kanzlerin und dem amerikanischen Präsidenten über den Klimaschutz. Läuft Frau Merkel Gefahr, ihr gutes Verhältnis zu George Bush zu gefährden?
 
Thomas de Maizière: Nein. Wir sollten auch nicht so tun, als wären die Amerikaner die Einzigen, die noch nicht bereit waren, die weitgehenden europäischen Beschlüsse zum Klimaschutz zu übernehmen.
 
Auch Russland, China oder Japan sind zögerlich. Es geht also nicht nur um die USA. Und die jüngste Ankündigung des Präsidenten ist ein wichtiges und positives Zeichen, dass auch die Amerikaner auf den Klimawandel reagieren.
 
Süddeutsche Zeitung: Die Kanzlerin blieb verhalten.
 
de Maizière: Es ist wahr, dass die deutsche und europäische Position sich von der anderer Länder wie der USA unterscheidet.
 
Das verschweigt die Bundesregierung nicht. Aber wir können – nicht nur bei den Amerikanern – Bewegung in die richtige Richtung erkennen. Nun sollte man bitte den Gipfel abwarten.
 
Süddeutsche Zeitung: Es gab am Wochenende in Rostock fürchterliche Szenen mit 1000 Verletzten. Muss das Sicherheitskonzept für Heiligendamm überdacht werden?
 
de Maizière: Nein. Prinzipiell sage ich: Die meisten der Demonstranten waren friedlich. Sie wollen eine Globalisierung mit menschlichem Gesicht. Leider versucht ein extrem gewaltbereiter Teil der Demonstranten eine solche Veranstaltung kaputtzumachen.
 
So war es auch in Rostock. Das bestätigt die Sicherheitsvorkehrungen. Die Gewalt geht nicht von der Polizei aus. Hoffentlich überdenkt jetzt mancher seine Kritik der letzten Tage an dem Sicherheitskonzept.
 
Süddeutsche Zeitung: War es falsch, nach Heiligendamm zu gehen?
 
de Maizière: Das ist verschüttete Milch. Die Entscheidung ist so gefallen. Wir wollen nicht die Vorgängerregierung kritisieren, die das entschieden hat. Wir stehen dazu, und gut is’.
 
Süddeutsche Zeitung: In Kürze ist der Gipfel Geschichte, bald auch die EU-Präsidentschaft. Was kann diese Koalition noch bewegen?
 
de Maizière: Wir haben große Aufgaben vor uns, zum Beispiel die Erbschaftsteuerreform, die weitere Haushaltskonsolidierung, die Föderalismusreform II, den Ausbau der Kinderbetreuung, die Pflegeversicherung.
 
Süddeutsche Zeitung: Wird es in dieser Legislatur eine Reform der Pflegeversicherung geben?
 
de Maizière: Das kann ich nicht sicher vorhersagen. Wir werden uns in einem der kommenden Koalitionsausschüsse im Juni oder Juli berichten lassen, wie weit die Verhandlungen sind.
 
Süddeutsche Zeitung: Der Koalitionsvertrag sieht eine Reform der Pflege vor. Woran hakt es?
 
de Maizière: Es war ein Problem der Verhandlungen zur Gesundheitsreform, dass man sich öffentlich unter Druck setzte und jeder Zwischenschritt breit diskutiert wurde. Das bekommt der Sache nicht. Deswegen bin ich froh, dass die Verhandlungen zur Pflege ruhig und überwiegend intern stattfinden.
 
Süddeutsche Zeitung: Also weniger parlamentarische Vorabbeteiligung bei der Pflege?
 
de Maizière: Es gibt nicht ein richtiges Verfahren für alle politischen Projekte. Wichtig ist, dass die jeweils zuständigen Minister eng eingebunden sind. Die Regierung muss vorlegen.
 
Süddeutsche Zeitung: Also bleiben die Fachleute der Fraktionen diesmal außen vor?
 
de Maizière: Die Fachleute der Fraktionen sind eingebunden und unterrichtet.
 
Süddeutsche Zeitung: Aber sie entwickeln nicht mit.
 
de Maizière: Es ist so abgesprochen.
 
Süddeutsche Zeitung: Zur Föderalismusreform II. Günther Oettinger hat einen Fonds vorgeschlagen, mit dem die reichen Länder ärmeren wie Berlin helfen, ihre hohen Schulden abzubauen. Richtig?
 
de Maizière: Das ist ein wegweisender Vorschlag. Es ist ein bemerkenswertes Zeichen der Solidarität, wenn der Ministerpräsident eines Geberlandes einen solchen Vorschlag macht. Aber dieser Vorschlag ist nicht ohne Bedingungen gemacht worden.
 
Süddeutsche Zeitung: Die armen Länder dürfen keine Schulden mehr machen.
 
de Maizière: Ja. Die laufenden Ausgaben müssen danach von den laufenden Einnahmen gedeckt werden, also ohne strukturelles Defizit. Eine noch so feierliche Versicherung des verschuldeten Landes, künftig nicht mehr zu sündigen, reicht nicht aus.
 
Es muss durch die Verfassung die Aufnahme neuer Schulden erschwert werden. Es muss ein Frühwarnsystem geben, das eine neue Verschuldung verhindert, und Sanktionen gegen Verstöße.
 
Süddeutsche Zeitung: Also ein Katalog wie bei den Maastricht-Kriterien in der EU.
 
de Maizière: Das wäre gut.
 
Süddeutsche Zeitung: Andere Geberländer wie Hessen oder Bayern haben kritisch reagiert.
 
de Maizière: Man sollte die Qualität und die Chancen einer politischen Idee nicht nur an den öffentlichen Reaktionen messen. Ich bin mir sicher, dass der Vorschlag eines Vorsitzenden mehr Gewicht haben wird als andere.
 
Ver- und Entschuldung sind zentrale Fragen – die vielleicht wichtigsten Voraussetzungen, um über eine Neugliederung der Länder seriös sprechen zu können.
 
Süddeutsche Zeitung: Bei der Kinderbetreuung wird erbittert über das Betreuungsgeld gestritten. Wird der eigene Erfolg schon zerredet, bevor er da ist?
 
de Maizière: Ich würde mich freuen, wenn alle die Suppe genießen würden, anstatt das Haar in ihr zu suchen. Beim Thema Familie sind wir in enormem Tempo vorangekommen – vom Elterngeld bis hin zum Krippenausbau.
 
Und ich finde es auch richtig, dass nicht nur an jene etwa 30 Prozent der ein- bis zweijährigen Kinder gedacht wird, die in die Krippe gehen sollen, sondern auch an die, deren Eltern sie daheim betreuen.
 
Süddeutsche Zeitung: Besteht die Gefahr, dass Eltern lieber das Betreuungsgeld einstreichen, als ihren Kindern helfen zu lassen?
 
de Maizière: In der Vereinbarung aus dem Koalitionsausschuss steht vor dem Wort Betreuungsgeld "zum Beispiel". Es ist also nur eine Möglichkeit. Es geht darum, denjenigen, die ihre Kinder zu Hause betreuen, zu zeigen: Auch an euch wird gedacht!
 
Das kann, muss aber kein Betreuungsgeld sein. Wichtig ist, dass es den Kindern hilft und nicht dem Konsum der Eltern dient.
 
Süddeutsche Zeitung: Sind Gutscheine eine Lösung?
 
de Maizière: Auch eine Gutscheinlösung wäre nicht einfach. Geben Sie uns ein bisschen Zeit.
 
Süddeutsche Zeitung: Zum Klima der Koalition. Vizekanzler Müntefering registriert Vertrauensschwund und attestiert der Kanzlerin Führungsschwäche.
 
de Maizière: Wir sollten nicht so tun, als ob das Regieren in anderen Konstellationen ein reines Zuckerschlecken wäre. Viele der Konflikte hätten wir in jeder anderen Kombination auch, weil es dem Grunde nach fachliche Konflikte zwischen Ressorts sind.
 
Deswegen sehe ich das alles mit einer gewissen Gelassenheit, auch wenn ich etwas weniger Begleitmusik hilfreich fände.
 
Süddeutsche Zeitung: Wolfgang Schäuble sieht das anders. Er plädiert mit Blick auf 2009 für Schwarz-Gelb und für ein Ende der Großen Koalition von "Konkurrenten".
 
de Maizière: Dafür braucht man dann aber entsprechende Wahlergebnisse.
 
Interview: Jens Schneider und Christoph Schwennicke