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Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Jahresempfangs für das Diplomatische Corps

Do, 01.02.2007
am 1. Februar 2007 in Berlin


Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
 
ich möchte Sie auch im Namen der Bundesregierung ganz herzlich zum Jahresempfang für das Diplomatische Corps hier bei uns im Kanzleramt willkommen heißen. Ich freue mich, dass ich Sie alle nunmehr schon zum zweiten Mal begrüßen darf.
 
Ich wünsche Ihnen, Ihren Angehörigen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihrer Vertretungen natürlich ein gutes und friedliches Jahr 2007 und uns eine sehr gute Zusammenarbeit.
 
Wenn wir noch einmal zurückblicken, dann war 2006 ein ereignisreiches Jahr in Deutschland. Vielleicht ist auch Ihnen allen noch die Fußball-Weltmeisterschaft in guter Erinnerung. Ich glaube, wir konnten unser Land in einer Weise präsentieren, wie viele das gar nicht für möglich gehalten haben. Wenn ich sage "wir", dann meine ich die Menschen in Deutschland.
 
Wir hatten uns das Motto gegeben:"Die Welt zu Gast bei Freunden". Wir waren stolz darauf, dass so viele Menschen Deutschland besucht haben. Auch wenn wir in diesem Sommer keine Fußballweltmeisterschaft haben, dann sagen Sie dennoch zu Hause bei sich: "Die Welt zu Gast bei Freunden". Das soll auch dauerhaft so sein. Alle sind herzlich eingeladen.
 
Als Bundesregierung haben wir unsere Arbeit in diesem Jahr im Wesentlichen unter dem Dreiklang "Sanieren, Reformieren und Investieren" ausgestaltet. Wir können am Anfang des Jahres 2007 feststellen, dass wir erfolgreiche Zahlen – wenn man das einmal so nennen will – haben. Da nenne ich zuvörderst die Tatsache, dass die Zahl der Arbeitslosen zurückgegangen ist – Arbeitslosigkeit ist sicherlich das, was die Menschen am meisten bedrückt –; das heißt, hier besteht wieder Hoffnung. Aber wir dürfen uns natürlich nicht auf dem ausruhen, was wir erreicht haben. Denn rund vier Millionen Arbeitslose, darunter viele Langzeitarbeitslose, dürfen uns nicht ruhen lassen. Denn wir wollen ja möglichst vielen Menschen eine Chance geben.
 
Ich übertreibe sicherlich nicht, wenn ich sage: Auch die internationale Politik hat uns in Atem gehalten und uns immer wieder vor große Aufgaben gestellt. Manches war, wenn wir uns heute ein Jahr zurückversetzen, gar nicht absehbar, z. B. dass wir mit europäischen Truppen den Ablauf der Wahlen im Kongo gesichert haben oder dass wir heute UNIFIL-Truppen vor der Küste des Libanon haben. Das heißt, wir mussten Handlungsfähigkeit beweisen. Wir freuen uns, gerade was die Wahlen im Kongo anbelangt, dass sie erfolgreich durchgeführt werden konnten.
 
Andere Themen beschäftigen uns nun schon eine ganze Weile. Ich glaube, dass auf der Liste der Probleme, die uns wirklich Sorgen bereiten, das iranische Nuklearprogramm ganz oben steht. Wir haben in diesem Jahr eine Vielzahl von Anstrengungen unternommen, um hier in Verhandlungen mit dem Iran Fortschritte zu erzielen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen, dass wir hoffen, dass sich Verbesserungen ergeben. Auf der anderen Seite haben wir aber auch in der Völkergemeinschaft durch UN-Resolutionen klar gesagt, dass bestimmte Dinge nicht akzeptabel sind.
 
Wir haben uns immer wieder mit der Entwicklung in Afghanistan zu beschäftigen. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland mit vielen anderen Ländern das große Ziel verfolgt, dass Afghanistan einen friedlichen Weg gehen kann.
 
Wenn wir einmal auf unseren europäischen Kontinent schauen, dann hat uns die Lage im Kosovo und auf dem Westbalkan beschäftigt; und sie wird uns auch weiterhin beschäftigen.
 
Wir sind bereit – manche von Ihnen haben das auch erlebt –, Verantwortung zu übernehmen. Mit Beginn dieses Jahres haben wir natürlich noch ein ganzes Stück Verantwortung hinzubekommen. Wir haben den Vorsitz in der Europäischen Union. Wir haben diese Aufgabe von Finnland übernommen. Wir haben schon sehr gut kooperiert. Wir machen das Ganze in einer Triopräsidentschaft zusammen mit Portugal und Slowenien. Wir wollen natürlich unseren Beitrag dazu leisten, dass die Europäische Union in den wichtigen Aufgaben – das heißt vor allem in dem, was die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, anbelangt – vorankommt.
 
Wir sind froh, dass wir uns auch als Land der Ratspräsidentschaft präsentieren können. Es werden allein über 400 Veranstaltungen stattfinden. Viele von Ihnen – unabhängig davon, ob Sie aus der Europäischen Union oder aus anderen Teilen der Welt kommen – tragen heute den Sticker mit Deutschland und der EU-Präsidentschaft. Das zeigt, dass Sie auch Erwartungen in uns haben, aber sicherlich auch hilfreich mit uns zusammenarbeiten wollen.
 
Die Themenschwerpunkte liegen auf der Hand. Das sind einmal die Themen, die sich mit der wirtschaftlichen Prosperität der Europäischen Union befassen. Für uns ist das Thema Energie ein zunehmend wichtiges Thema. Denn die Fragen der Sicherheit, der Verlässlichkeit, der Bezahlbarkeit und der Verfügbarkeit von Energie nehmen in den Industriegesellschaften eine zunehmende Bedeutung ein. Weltweit wissen wir auch, dass wir es mit den großen Bedrohungen des Klimawandels zu tun haben und wir hierauf gemeinsam reagieren müssen.
 
Wir werden uns damit befassen, dass die Europäische Union an manchen Stellen etwas schwerfällig geworden ist, sie ein großes Regelwerk angehäuft hat und wir uns, wenn wir wirtschaftlich dynamisch sein wollen, natürlich auch mit der Bürokratie auseinandersetzen müssen. Wir werden hier die Initiativen der Kommission unterstützen.
 
Wir werden – nun, da wir 27 Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union sind – über die Frage reden: Wie kann man diese Europäische Union funktionsfähig ausgestalten? Wie kann man sie handlungsfähig machen? Was sind die Zuständigkeiten in der Europäischen Union? Was sind die Zuständigkeiten der Nationalstaaten? Das alles hat etwas mit dem Thema Verfassungsvertrag zu tun.
 
Wir haben uns hierzu einen Prozess in der Europäischen Union überlegt. Das heißt, Deutschland hat die Aufgabe bekommen, jetzt nach der Reflexionsphase einen Fahrplan zu erarbeiten, wie es weitergeht. Ich möchte sehr deutlich sagen, dass ich mir nur ganz schwer eine Europawahl 2009 vorstellen kann, bei der wir den Menschen nicht sagen können, für welches Europa sie stimmen sollen und in welcher Art und Weise dieses Europa funktionieren soll.
 
Wir werden im März anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge Gastgeber sein. Das ist für uns eine sehr große Ehre. Diese Ehre spiegelt auch wieder, was sich in der Europäischen Union, was sich in Europa, was sich in der Welt in den letzten 16, 17 Jahren verändert hat. Der Kalte Krieg ist zu Ende. Berlin ist eine wiedervereinigte Stadt. Sie alle wissen, dass sich das Leben in dieser Stadt dramatisch verändert hat. Deshalb wollen wir mit einem großen europäischen Fest in Berlin deutlich machen, dass Deutschland seine Wiedervereinigung nur erringen konnte, weil wir in eine Europäische Union eingebettet sind, die es geschafft hat, nach den Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges ein- für allemal Krieg und Hass zu überwinden.
 
Deshalb werden wir uns anlässlich des 50. Jahrestages der Römischen Verträge noch einmal zurückbesinnen: Was waren die Kräfte, die die Gründung dieser Europäischen Union ermöglicht haben? Man hat damals beschlossen, Kohle und Eisenerz nicht mehr als Gegenstände von Auseinandersetzungen zu nehmen, sondern sie gemeinsam zu nutzen. Wir werden uns fragen: Was bedeutet diese Art des Denkens für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts? Das bedeutet sicherlich, dass wir z. B. in Fragen der Energie miteinander solidarisch sein müssen, dass wir eine Verantwortung in der Welt haben, dass wir nur stark sind, wenn wir gemeinsam agieren und dass wir mit Hilfe der Europäischen Union die Interessen der jeweiligen Mitgliedsländer besser umsetzen können, als das anderweitig der Fall ist.
 
Wir werden innerhalb unserer Präsidentschaft einen Gipfel der Europäischen Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika durchführen. Wir werden deutlich machen, dass die transatlantische Partnerschaft für uns von allergrößter Bedeutung ist.
 
Und wir werden einen Gipfel mit Russland haben. Ich hoffe, dass wir bei diesem Gipfel in der Lage sein werden, Akzente für ein zukünftiges Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland zu setzen, in dem auch unsere strategische Partnerschaft im Bereich der Energie eine wichtige Rolle spielen wird.
 
Wir sind natürlich daran interessiert, international auch weitere wichtige Fortschritte zu erzielen. Ich nenne hier die Gespräche in der Welthandelsrunde und ich nenne natürlich auch die Bereitschaft der Europäischen Union, sich in den wichtigen Konflikten der Welt zu engagieren. Über die Bedrohung durch den Iran habe ich bereits gesprochen.
 
Ich möchte als ein weiteres Thema den Nahostkonflikt nennen. Wir hoffen, dass wir ein Zeitfenster haben, in dem wir Fortschritte erreichen können. Unser Bundesaußenminister ist schon auf dem Weg zu einem Treffen des Nahostquartetts. Wir haben uns von deutscher Seite sehr dafür eingesetzt, dass dieses Quartett wieder eine Funktion übernehmen kann und eine Bedeutung bekommt, damit wir auch die Anstrengungen der verschiedenen Partner koordinieren und die Anstrengungen in der Region unterstützen können.
 
Zentral ist natürlich die konfliktreiche Frage: Wie schaffen wir es, zu einer Zweistaatenlösung zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten zu kommen? Klar ist auch: Die Akteure in der Region spielen die wesentliche Rolle, vor allen Dingen die direkt Betroffenen, aber auch die Akteure in der gesamten Region.
 
Ich werde in der nächsten Woche eine Reise in die Region unternehmen. Wir wollen dann mit unseren Kräften, wie wir sie innerhalb der Europäischen Union haben, dies sage ich auch für die Bundesrepublik Deutschland, unterstützend tätig werden – natürlich unter der Maßgabe, dass das Existenzrecht Israels von niemandem in Frage gestellt wird, dass der Stand der Verhandlungen in der "road map" akzeptiert wird und dass wir vor allen Dingen Gewalt als Möglichkeit von Konfliktlösungen ausschließen.
 
Meine Damen und Herren, wir haben in unserem Arbeitsprogramm für dieses Jahr nicht nur die EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr, sondern für das gesamte Jahr 2007 auch die Präsidentschaft bei der G8. Wir wollen hier ein Thema auf die Tagesordnung setzen, das uns alle beschäftigt. Das ist die Frage des Klimawandels. Wir haben gerade in diesen Tagen wieder Kenntnis von einem wissenschaftlichen Bericht erhalten, der aufzeigt, dass wir sehr wahrscheinlich einen Klimawandel beobachten, der uns zum Handeln auffordert.
 
Die Europäische Union wird mit einem Mandat für Verhandlungen auch für die Zeit nach 2012 deutlich machen, dass sie Verantwortung übernehmen möchte. Aber in Europa werden nur 15 % der CO2-Emissionen anfallen, während 85 % außerhalb der Europäischen Union entstehen. Es gibt vielleicht kein Thema, das so anschaulich wie der Klimawandel verdeutlicht, dass wir diese Herausforderung nur gemeinsam bewältigen können.
 
Wir wissen, dass die Schwellenländer und Entwicklungsländer ein Recht auf Wachstum haben. Aber wir wollen zeigen, dass Wachstum von Energieverbrauch entkoppelt werden kann, insbesondere von CO2-Emissionen. Deshalb werden wir auf dem G8-Gipfel versuchen, hier Akzente zu setzen. Wir werden bei dem so genannten "Outreach"-Treffen auch mit China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika über dieses Thema sprechen.
 
Ein Schwerpunkt unserer G8-Präsidentschaft wird das Verhältnis zu Afrika und die dort bestehenden Probleme sein, wobei ich mich freue, dass auch während der portugiesischen Präsidentschaft der Plan besteht, wieder einen Europa-Afrika-Gipfel abzuhalten. Afrika ist unser Nachbarkontinent, deshalb haben wir natürlich ein gemeinsames Interesse – auch im Sinne einer win-win-Situation –, hier Fortschritte zu erzielen. Denn wir wissen: In einer globalen Welt sind Konflikte auf anderen Kontinenten auch sehr schnell Schwierigkeiten für uns hier in Europa. Deshalb geht es auch darum, dass wir im Bereich der Bekämpfung von Aids Fortschritte erreichen, dass wir aber auch über gutes, transparentes Regieren miteinander reden, damit zum Schluss auch die Menschen etwas davon spüren, wenn wir zusammenarbeiten.
 
Meine Damen und Herren, wir haben uns für unsere europäische Ratspräsidentschaft das Motto gegeben: "Europa gelingt gemeinsam." Das heißt, wir alle sind aufeinander angewiesen. Wenn nicht insgesamt der gute Wille vorhanden ist, Verantwortung für unsere Welt, für diese Erde, für die Menschen, die auf unserem Planeten leben, zu übernehmen, dann wird das einem Land oder einer politischen Verbindung wie der Europäischen Union nicht gelingen.
 
Deshalb ist ein solcher Empfang des Diplomatischen Corps eine Möglichkeit, auf der einen Seite ein Dankeschön für viele gute Erfahrungen miteinander zu sagen und gleichzeitig die Bitte zu Kompromissbereitschaft zu äußern, denn ohne Kompromisse sind mit Sicherheit keine Fortschritte zu erreichen.
 
Wir haben in Europa nach Jahrhunderten schrecklichster Kriege und fürchterlichster Auseinandersetzungen irgendwann die Erfahrung gemacht, dass die eigenen Interessen besser durchzusetzen sind, wenn man auch die Interessen des anderen ein Stück weit mit bedenkt. Ich glaube, dies müssen wir miteinander auf unserer Erde versuchen – für die Menschen und für die eigene Zukunft.
 
Deshalb freue ich mich auch im Namen der Bundesregierung noch einmal auf ein Jahr intensiver und enger Zusammenarbeit, in der Hoffnung, dass wir am Jahresende einige politische Konflikte weniger haben werden. Denn wir sind uns vielleicht einig: Es sind zu viele Menschen in Not, es sind zu viele Menschen in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt.
 
Herzlichen Dank, dass Sie heute gekommen sind, und alles Gute für Ihre Länder.