Kanzleramtschef Thomas de Maizière verdeutlicht im Interview mit der Schweriner Volkszeitung die Wichtigkeit der Inhalte des G8-Gipfels. Friedliche Demonstrationen seien eine Unterstützung für die Politik und keine Gegnerschaft.
Das Interview im Wortlaut:
Schweriner Volkszeitung: Herr Minister de Maizière, angesichts der jüngsten Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel – Beispiel Durchsuchungen, Beispiel Geruchsproben – kommt es zu dem Vorwurf, der Staat treibe die Eskalation voran. Teilen Sie die Auffassung?
Thomas de Maizière: Das möchte ich deutlich zurückweisen. Es geht in jedem einzelnen Fall um Aufklärung von Straftaten und Ermittlungsarbeit.
Auch im konkreten Fall der Geruchsproben handelte es sich klar um Ermittlungsarbeit der Generalbundesanwältin und nicht um Präventionsmaßnahmen für G8-Demonstrationen, wie es vom Anwalt der Betroffenen falsch dargestellt wird.
Warum sollte uns eine Eskalation nützen? Das ist einfach nicht in unserem Interesse. Wir wollen im Gegenteil, dass die Inhalte von G8 im Mittelpunkt stehen. Wir wollen, dass Polizisten eher weniger als mehr zu tun haben.
Wir haben kein Interesse an Bildern von gewalttätigen Demonstrationen. Wir haben kein Interesse an Eskalation.
Schweriner Volkszeitung: Glauben Sie umgekehrt, dass von den Globalisierungsgegnern Gewalt ausgeht?
De Maizière: Wir hatten zahlreiche Kontakte zu Nichtstaatlichen Organisationen, Vereinigungen bis hin zu Popstars. Dabei wurde klar, dass es den meisten Globalisierungskritikern um Demonstrationen geht, aber dass von ihnen keine Gewalt ausgeht.
Erst vor wenigen Tagen hat sich ein attac-Vertreter von Brandanschlägen distanziert. Das begrüße ich. Insgesamt beobachten wir aber auch, dass die Globalisierungsgegner von der eigenen Mobilisierung enttäuscht sind.
Das frustriert die militanten Kräfte, die es auch gibt. Sie wollen diese Veranstaltung stören. Und diese Kräfte versuchen jetzt eine Eskalation in der Sache und durch Kommunikation zu erreichen.
Schweriner Volkszeitung: Warum ist es trotz Ihrer Einschätzung notwendig, neben einem Zaun – der ohnehin schon drei Kilometer vom Tagungsort entfernt ist – noch eine 200-Meter breite Bannmeile gegen Demonstranten und ein Demonstrationsverbot zu erlassen?
De Maizière: Das Demonstrationsverbot 200 Meter rund um den Zaun halte ich aus polizeitaktischen Gründen für gut vertretbar.
Die Polizei muss sehen können, wo Angriffe auf den Zaun erfolgen. Das andere ist das Demonstrationsverbot vor dem Zaun, das allerdings kein absolutes Verbot ist.
Bis zum 4. Juni kann dort nach Anmeldung demonstriert werden, wenn Rettungswege und so weiter freigehalten werden. Das absolute Demonstrationsverbot gilt nur nach dem 4. Juni.
Ich halte die Maßnahme für verhältnismäßig. Im Übrigen ist diese so genannte "Allgemeinverfügung" jetzt Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen.
Und was immer geschieht, die staatliche Seite wird sich an die Entscheidung der Verwaltungsgerichte halten. Allerdings erwarte ich dann auch, dass sich die Demonstranten an die gerichtlichen Urteile halten.
Schweriner Volkszeitung: Halten Sie die Proteste nicht für nachvollziehbar angesichts eines Treffens von acht Regierungschefs der größten Industrienationen, bei dem der Rest der Welt außen vor bleibt?
De Maizière: Das ist ein Vorurteil. Schauen Sie sich die Tagesordnung des Gipfels an. Er beschäftigt sich mit dem Klimawandel, mit Afrika und mit der Weltwirtschaft.
Das zeigen auch die Gäste aus den Schwellenländern, China, Indien, Südafrika, Brasilien, Mexiko, sowie von der Afrikanischen Union. Längst haben die acht führenden Industrienationen erkannt, dass sie alleine wenig ausrichten können.
Nur zusammen kann man die Auswirkungen der Globalisierung in Griff bekommen. Das geht nicht ohne Länder wie Indien und China. Der Ansatz: Man ist gegen Globalisierung, also ist man gegen G8, der ist deutlich zu kurz gegriffen.
Die Globalisierung ist unabwendbar. Man kann zum Beispiel das globale Netz, das Internet nicht verbieten. Uns geht es um einen verantwortungsvollen Umgang mit den Folgen dieser Globalisierung.
Schweriner Volkszeitung: Wo gibt es dann Differenzen mit den Kritikern?
De Maizière: Wenn und soweit die Demonstranten die Teilnehmer des G8-Gipfels mahnen, auf den verantwortungsvollen Umgang mit den Folgen der Globalisierung zu drängen, dann sind solche Demonstrationen sogar für unsere Politik eine Unterstützung. Und dann empfinde ich das nicht als Gegnerschaft.
Schweriner Volkszeitung: Klima, Wirtschaft, Afrika – was kann ein 48-stündiges Treffen angesichts derartiger weltumspannender Themen bewirken, über die man sich zuvor über Monate und Jahre nicht einigen konnte?
De Maizière: Allein die Tatsache, dass ein solches Treffen stattfindet, bewirkt, dass man bis zum Termin Ergebnisse erzielen will. Allein das Hinarbeiten auf einen solchen Termin zwingt dazu, dass man auch zu Resultaten kommen wird.
Und: Man darf nicht die Bedeutung des Atmosphärischen einer derartigen Konferenz unterschätzen.
Es treffen sich Menschen, die hochbewacht von einem Ort zum anderen reisen, die normalerweise in anonymen Hotels untergebracht werden, die in bilateralen Gesprächen vorbereitete Tagesordnungen abarbeiten.
Wenn diese Menschen bei diesem Treffen nicht nur relativ lange zusammen sind, sondern einen oder zwei Abende gemeinsam verbringen, dann ist die Vertrauensbildung und das Atmosphärische nicht zu ersetzen.
Das ist vielleicht genau so viel wert, wie letztlich in den Abschlusspapieren steht. Das schafft eine Vertrauensbasis für lange Zeit.
Schweriner Volkszeitung: Ist das das Signal, das von Heiligendamm ausgehen wird?
De Maizière: Dinge in der Politik verändern sich langsam. Wenn die Menschen auf der Welt nach dem Treffen in Heiligendamm den Eindruck haben, dass sich dort Politiker versammelt haben, denen das Schicksal dieser Welt nicht egal ist, dass die Politiker nachhaltig und verantwortungsvoll mit dieser Welt umgehen wollen, dann wäre das ein gutes und wichtiges Signal.
Genauso wichtig wäre, dass die G8-Staaten erkennen, dass sie wirkliche Ergebnisse nur noch gemeinsamen mit den Schwellenländern erzielen können.
Und dass diese umgekehrt merken, dass sie ihre Entwicklung dauerhaft nur stabil halten, wenn sie mit den G8-Staaten im Dialog bleiben. Das wäre auch ein wichtiges Signal.
Schweriner Volkszeitung: Aber die G8-Länder haben doch untereinander alle Hände voll zu tun, sich selbst zu einigen – zum Beispiel in der Klimapolitik, in der die USA noch meilenweit von den europäischen Positionen was CO2-Reduzierung betrifft entfernt sind?
De Maizière: Es ist keinesfalls so, dass nur die USA bisher nicht bereit sind, so weit gehende Beschlüsse wie die Europäische Union zu treffen. Mit Japan und Kanada sind die Verhandlungen nicht viel einfacher.
Aber ich bin überzeugt, dass wir Schritt für Schritt vorankommen. Vom jetzigen Verhandlungsstand kann man noch nicht auf das Ergebnis schließen, dann bräuchten wir ja keinen Gipfel.
Schweriner Volkszeitung: Stichwort Transparenz von Hedgefonds, also Fonds von Finanzinvestoren: Was kann man da gemeinsam erreichen?
De Maizière: Unser Ziel ist es, für die Investitionsbedingungen und für die Hedgefonds-Anleger eine größere Offenheit zu bekommen. In dem Punkt sind wir übrigens mit den USA nahe beieinander.
Mal sehen, was da gelingt. Viel wäre schon erreicht, wenn sich die beteiligten Staaten auf eine gemeinsame Haltung einigen könnten.
Schweriner Volkszeitung: Wie ernst ist jenseits von Protesten und den inhaltlichen Debatten die Bedrohungslage für den Gipfel, die von terroristischen Anschlägen ausgehen könnte?
De Maizière: Wir haben uns gut vorbereitet. Wir tun das Menschen Mögliche, Gefährdungen zu verhindern. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist zu jeder Zeit, Tag und Nacht vorhanden.
Die Terroristen wollen insbesondere ein Bedrohungsgefühl herbeiführen. Deshalb sollten wir aber auch keine Ängste schüren, die den Terroristen nur nützen.
Schweriner Volkszeitung: Das Beispiel der Bombenanschläge in London zum Zeitpunkt des Gipfels in Gleneagles vor zwei Jahren beweist, dass nicht unbedingt der Gipfelort das Ziel sein muss. Kann man das für Deutschland auch sagen?
De Maizière: Bis heute ist es nicht klar, ob es einen bewussten Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen vor zwei Jahren gab und gibt.
Aber bisher war es immer die Absicht des internationalen Terrorismus – und das kling jetzt hart – "weiche Ziele" zu treffen.
Also Leute aus der normalen Bevölkerung. In Madrid waren Vorortzüge das Ziel. Das heißt nicht, dass es nicht zu Attentaten kommen kann. Aber das Perfide ist ja die Absicht, Touristen – wie in Bali – oder die Bevölkerung zu treffen. Das kann man nie ausschließen.
Schweriner Volkszeitung: Zu Mecklenburg-Vorpommern: Haben sich die anfänglichen Differenzen mit der Landesregierung – Stichwort Kosten – gelegt?
De Maizière: Wir sind sehr zufrieden mit jeder Form der Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Behörden und der Regierung in Mecklenburg-Vorpommern.
Das Interview führten: Thomas Schunck, Max-Stefan Koslik