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"Wir stocken die Entwicklungshilfe um 750 Millionen Euro auf"

Fr, 01.06.2007
Geldof und Merkel
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Foto: Daniel Biskup für BILD
Geldof und Merkel
In der Bild-Zeitung fragt Bob Geldof die Bundeskanzlerin nach dem deutschen Engagement für Afrika auf dem Gipfel in Heiligendamm. Deutschland werde seine Zusagen einhalten, unterstreicht Angela Merkel. Allerdings gehe es der G8-Präsidentschaft nicht allein um Geld: Afrika müsse einen Weg finden, auf eigenen Beinen zu stehen, so Merkel – um ein Partner auf Augenhöhe zu werden.


Das Interview im Wortlaut:
 
Bob Geldof: Frau Bundeskanzlerin, was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie an Afrika denken?
 
Angela Merkel: Ich sehe die herrlichen Landschaften, die unvergleichlichen Farben, die Menschen. Natürlich sehe ich auch schreckliche Armut und große Not.
 
Und ich sehe Fortschritt und neue Perspektiven in vielen Staaten: eine wachsende Wirtschaft, neue Schulen, mehr demokratische Regierungen. Also viel Hoffnung!
 
Geldof: Afrika bedeutet Ihnen etwas, das kann man spüren. Sie haben es im Kreis der acht wichtigsten Industriestaaten (G8) auch wieder auf die Tagesordnung gehoben. Aber warum sollen die Deutschen sich überhaupt darum scheren, was in Afrika passiert?
 
Merkel: Afrika scheint sehr weit weg zu sein. Aber in Wahrheit ist es unser Nachbarkontinent, die kürzeste Entfernung ist nur 12 Kilometer südlich von Gibraltar.
 
Wenn wir Afrika nicht helfen, seine Probleme zu lösen, werden es sehr bald unsere Probleme sein. Wir leben alle in einer Welt.
 
Es ist für mich eine Frage unserer eigenen Interessen, aber auch der Moral und des glaubwürdigen Eintretens für die Menschenwürde.
 
Geldof: Es gibt da eine Geschichte über die britische Premierministerin Margaret Thatcher. Bei einem Treffen von Staats- und Regierungschefs 1984 schaute sie nachts eine TV-Dokumentation über die Hungerkatastrophe in Äthiopien an. Am nächsten Morgen bat sie ihre Kollegen, als Erstes eine halbe Stunde über eben dieses Äthiopien zu beraten. Dazu spielte sie ihre Weiblichkeit in einem Raum voller Männer aus und sagte: "Ich habe gestern geweint, als ich diese Bilder aus Äthiopien gesehen habe." Werden auch Sie für Afrika weinen, Frau Bundeskanzlerin?
 
Merkel: Ich glaube nicht, dass das ein erfolgversprechender Weg wäre!
 
Ich werde mich aber sehr einsetzen, dass wir gerade jetzt Afrika bei seinem wirtschaftlichen Aufbruch begleiten.
 
Geldof: Politiker sollten die Größe haben, auch einmal zu weinen.
 
Merkel: Ich lächle lieber, aber auch Tränen sind keine Schande.
 
Geldof: Hilfe für Afrika klingt immer nach Kosten, nicht nach Investition. Dabei schafft Hilfe für Afrika Wirtschaftswachstum, Märkte und Jobs, sodass die Menschen dort weniger Grund haben, vor der Not zu fliehen. Und es schafft auch Jobs in Deutschland, oder?
 
Merkel: Stimmt. Einerseits sehen wir Afrika als einen Markt für unsere Exporte; andererseits braucht Europa Rohstoffe, an denen Afrika so reich ist.
 
Aber dabei muss es fair zugehen. Dem ganzen Kontinent zu helfen, ist im beiderseitigen Interesse und ein vorrangiges Anliegen der G8-Staaten.
 
Geldof: Wie wird das sein beim G8-Gipfel in Heiligendamm – als einzige Frau unter all den Herren im grauen Anzug? Setzen Sie eigentlich Ihre Weiblichkeit ein? Ist es anders, als Frau mitzureden?
 
Merkel: Darauf kann ich nur antworten: Da ich nie ein Mann war, kann ich nicht vergleichen, ob es als Frau anders ist.
 
Geldof: Deutschland ist in einer perfekten Lage: EU-Ratspräsidentschaft und G8-Vorsitz; Sie persönlich haben hohe Zustimmungsraten in Umfragen und 71 Prozent der Deutschen denken, dass Afrika bekommen soll, was ihm vor zwei Jahren zugesagt wurde: die Entwicklungshilfe bis 2010 auf 0,51 Prozent der Wirtschaftskraft der G8-Staaten anzuheben, das heißt im Vergleich zu 2005 zusätzlich insgesamt 25 Milliarden Dollar. Aber die G8-Staaten sind dabei, dieses Versprechen zu brechen. Wenn ich als Popmusiker einen Vertrag abschließe und ihn dann nicht einhalte, werde ich verklagt. Und wenn ich das Wort breche, das ich meinen Kindern gegeben habe, werden sie mir nicht mehr trauen. Warum glauben Politiker, sie könnten sich anders verhalten?
 
Merkel: Auch Politiker müssen ihre Versprechungen einhalten, sonst verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit.
 
Wir haben auch schon viel gemacht, zum Beispiel bei der Entlastung von Schulden, die in Ihren Zahlen nicht mitgerechnet wird. Einem Land wie Tansania hat der Schuldenerlass die Luft verschafft, die Einschulungsrate auf 95 Prozent der Kinder zu erhöhen.
 
Und wir werden noch mehr tun: Die deutsche Entwicklungshilfe wird 2008 um etwa 750 Millionen Euro aufgestockt und wurde auch in den vergangenen Jahren schon deutlich erhöht. Kein Etat eines anderen Ressorts der Bundesregierung wird prozentual stärker steigen.
 
Geldof: Was Sie versprochen haben und was wir fordern, sind allein für Afrika zusätzliche 700 Millionen Euro in diesem Jahr und in allen folgenden Jahren bis 2010, wenn 2,8 Milliarden Euro mehr als heute aufgebracht werden müssen. Das ist wahrlich nicht viel in einer Volkswirtschaft von 2,5 Billionen Euro – ich weiß nicht einmal, wie viele Nullen das hat. Außerdem haben Sie diesen unerwarteten zusätzlichen Steuereinnahme-Segen von 21,8 Milliarden Euro. Zugleich sprechen Sie voller Mitgefühl über die Menschen in Afrika, die am wenigsten zur Erderwärmung beitragen, aber am stärksten unter ihr zu leiden haben. Kommen Sie, Frau Bundeskanzlerin, Sie können doch jetzt einfach sagen: Das machen wir!
 
Merkel: Ich werde nur ankündigen, was ich halten kann ...
 
Geldof: ... jetzt klingen Sie wie ein Politiker. Noch einmal, Frau Bundeskanzlerin: Sie haben das Geld.
 
Merkel: Wir kennen unsere Zusagen, und wir werden sie erfüllen. Denn wir wollen glaubwürdig bleiben.
 
Und wir werden auch weiter Schulden erlassen. Aber lassen Sie mich auch sagen: Geld ist nicht alles.
 
Sie können jede Menge Geld nach Afrika pumpen und das komplett Falsche damit anfangen ...
 
Geldof: ... völlig richtig ...
 
Merkel: ... Afrika muss ein Partner auf gleicher Augenhöhe sein: mit Rechten, aber auch mit Pflichten. Das Geld muss die Menschen wirklich erreichen und etwas bewirken. Das ist nicht immer der Fall. Wir haben manche Enttäuschung erlebt.
 
Geldof: Ich verstehe, dass die Deutschen sehen wollen, ob ihr Geld gut angelegt wird. Aber man kann den Fortschritt messen. Sie können die Ärzte sehen, die Krankenschwestern, die Medizin. Deshalb werden die Amerikaner und die Briten beim G8-Gipfel das Geld für ihre Aids-Programme verdoppeln und die Ausgaben für Bildung spürbar erhöhen. Arbeiten Sie gerade auch daran?
 
Merkel: Ja, auf jeden Fall werden wir beim G8-Gipfel ein klares Signal setzen und die Aids-Programme verstärken, weil sonst die Entwicklung des ganzen Kontinents stecken bleibt.
 
Aber ich will mehr: Ich will, dass wir umfassend über Entwicklungshilfe diskutieren. Ein Beispiel: Deutschland hat für 56 Millionen Euro die Wahlen im Kongo militärisch mit abgesichert, für die Blauhelmtruppen in Liberia haben wir 160 Mio. US-Dollar gegeben und haben damit das Land aus dem Chaos des Bürgerkriegs gelöst.
 
Das schlägt sich aber in den Zahlungsquoten von denen Sie sprechen nicht nieder. Wenn wir Straßen für das Geld gebaut hätten, stünden wir nach Ihrer Einschätzung jetzt besser da.
 
Aber die Straße wäre beim nächsten Gewaltausbruch und ohne unseren Friedenseinsatz vielleicht wieder zerstört worden.
 
Geldof: Natürlich. Ich sage auch, dass Frieden und Sicherheit der beste Weg sind, Afrika zu helfen.
 
Merkel: Ich stimme Ihnen zu! Dazu passt aber nicht recht, dass solche Hilfe nicht angerechnet werden kann.
 
Geldof: 700 Millionen, Frau Bundeskanzlerin, 700 Millionen sind so wenig (zeigt mit zwei Fingern). Deutschland ist das größte Land in Europa, die größte Volkswirtschaft. Und Deutschland hat doch eine neue Rolle in der Welt des 21. Jahrhunderts. Sie wollen doch nicht China das ganze Feld in Afrika überlassen, oder?
 
Merkel: Im 21. Jahrhundert wird die Herausforderung sein, Afrika einen Weg für eine selbstständige Entwicklung zu ebnen.
 
Afrika muss auf eigenen Beinen stehen. In Kolonialzeiten hat Europa Afrika allzu oft ausgebeutet, im Kalten Krieg wurde Afrika als Schauplatz für die Auseinandersetzung zwischen Ost und West missbraucht.
 
Und nach dem Ende des Kalten Kriegs haben wir den Kontinent nicht genug beachtet. Es ist deshalb eine moralische Pflicht für uns, Afrika eine faire und echte Chance zu geben.
 
Dafür arbeitet meine Regierung. Natürlich hat China dort Rohstoff- und andere strategische Interessen. Aber auch wir Europäer zeigen Flagge und unterstützen zum Beispiel die Afrikanische Union und die Entwicklung demokratischer Tendenzen.
 
Geldof: Dann muss der G8-Gipfel in Heiligendamm ein Erfolg werden. Wenn nicht, brechen wir unsere Versprechen und afrikanische Kinder können nicht mehr in die Schulen gehen, die gebaut wurden. Das ist die absolute Realität. Verstehen Sie mich richtig: Ich bin strikt gegen Gewalt. Das funktioniert nicht. Unser Slogan heißt: "Deine Stimme gegen Armut". Nicht: "Deine Faust gegen Armut". Aber manch andere fangen eine andere, gefährliche Logik an. Sie sagen: Wenn die Politiker ihre Versprechen brechen, soll sich keiner wundern, wenn die Bürger wütend werden und Steine fliegen. Also: Werden Sie den Erfolg haben, den wir brauchen und den Sie wollen?
 
Merkel: Natürlich ist es wichtig, dass unsere Länder sich an gemachte Zusagen halten.
 
Daran arbeite ich. Aber machen wir uns nichts vor: Die Probleme in Afrika zu lösen wird ein sehr langer, steiniger Weg.
 
Geldof: Frau Bundeskanzlerin, wir verlangen nicht, dass Sie alle Probleme Afrikas lösen. Wir verlangen nur, dass Sie ein Versprechen einhalten.
 
Merkel: Wir werden in Heiligendamm Fortschritte erzielen, die Afrika voranbringen werden.