Startseite

Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des "European Patent Forum" des Europäischen Patentamtes

Mi, 18.04.2007
am 18. April 2007 in München


Sehr geehrter Herr Professor Pompidou,
sehr geehrte Frau Brimelow,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Europäischen Patentamtes,
werte Gäste,
 
Sie alle feiern bei dieser Veranstaltung heute und morgen miteinander 30 Jahre Europäisches Patentamt als eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Deshalb möchte die Bundesregierung ihre herzlichen Geburtstagswünsche überbringen. Das tue ich als Bundeskanzlerin und auch im Namen der Bundesjustizministerin, deren Staatssekretär heute hier ist. Das tue ich als Präsidentin des Europäischen Rates in besonderer Weise auch im Namen der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
 
Die Erfolgsgeschichte wird schon allein in den Zahlen deutlich, auf die Sie blicken können. Die Patentanmeldungen sind von 10.000 im Eröffnungsjahr 1977 auf rund 200.000 im Jahr 2006 angewachsen. Es gab heute Zeitungsartikel über die gebündelte Macht der Patentfachleute, in denen noch einmal darauf hingewiesen worden ist, dass die Arbeitsbelastung inzwischen so hoch ist, dass eine sachgerechte Prüfung nicht einfacher geworden ist. Darüber müssen wir natürlich auch nachdenken.
 
Aus sieben Gründungsmitgliedern der Europäischen Patentorganisation sind mittlerweile 32 geworden. Aus 100 Mitarbeitern des Europäischen Patentamtes wurden fast 6.500 aus fast 30 verschiedenen Nationen. Als deutsche Bundeskanzlerin bin ich natürlich sehr gerne nach München gekommen, weil das Europäische Patentamt die größte europäische Behörde ist, die wir in Deutschland beherbergen. Natürlich ist sie weit entfernt von Brüssel, Straßburg und anderen wichtigen Orten. Wir sind aber stolz darauf, das Europäische Patentamt bei uns in Deutschland zu haben. Wir haben ihm als Sitz auch nicht die unwirtlichste Stadt Deutschlands gegeben, wobei ich gar nicht sagen könnte, welche die unwirtlichste Stadt Deutschlands ist, weil sie alle schön sind. München ist aber mit Sicherheit besonders schön.
 
Meine Damen und Herren, natürlich ist die Präsenz des Europäischen Patentamtes in vier Ländern ein Beispiel für das Gelingen der europäischen Einigung. Besonders eindrucksvoll ist aber nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Arbeit des Europäischen Patentamtes. Die Prüfungsverfahren gehören zu den weltweit effizientesten. Die Prüfer sind erstklassig ausgebildet. Das Europäische Patentamt folgt der Überzeugung, dass nur solche Patente zum technischen Fortschritt beitragen, die für wirklich originelle Erfindungen erteilt werden. Das bedarf natürlich der Prüfung. Ein klarer Beleg für die durchgehend hohe Qualität der erteilten Patente ist die relativ geringe Zahl an Rechtsstreitigkeiten, die sich im Anschluss an Patenterteilungen ergeben. Ich begrüße daher den Ansatz des Europäischen Patentamtes, die hohe Qualität seiner Prüfungen, Recherchen und Patenterteilungen trotz der von mir schon angesprochenen steigenden Anmeldezahlen aufrechtzuerhalten.
 
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir ein starkes Europäisches Patentamt brauchen, denn gerade Europa ist als Exporteur hochwertiger Technologiegüter in ganz besonderem Maße auf ein funktionierendes System zum Schutze geistigen Eigentums angewiesen, weil Kreativität und Erfindergeist die Grundvoraussetzungen für Wohlstand und Beschäftigung sind. Dazu brauchen wir nicht nur die Fähigkeiten, sondern dazu müssen wir auch die Mechanismen gestalten, die dazu dienen, diese Fähigkeiten in einem vernünftigen Rechtsrahmen zu sichern und zu schützen. Wir alle wissen, dass Europa nicht allzu reich an natürlichen Rohstoffen ist. Umso wichtiger ist es für uns, dass wir die Ressourcen der Wissensgesellschaft optimal nutzen. Das, was Europa gerade auch im 20. Jahrhundert stark gemacht hat, nämlich die Entwicklung der Industriegesellschaft, muss Europa im 21. Jahrhundert umso stärker machen.
 
Wir wissen, dass der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft auch an die Patentierung vollkommen neue Herausforderungen stellt. Wenn wir nur an den Bereich der Software-Problematik denken, wenn wir an völlig neue Technologien denken, wissen wir, dass dies eine riesige Herausforderung ist. Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, dass wir erhebliche Probleme haben, wenn wir unser geistiges Eigentum nicht schützen können. Um die Ressourcen der Wissensgesellschaft also optimal nutzen zu können, brauchen wir zweierlei: Wir brauchen erstens weitere Anreize – auch über das Patentwesen hinaus – für Forschung und Innovation. Zweitens müssen wir verhindern, dass Know-how unkontrolliert abfließt und missbraucht wird. Beide Seiten dessen, was ich genannt habe, sind von allergrößter Bedeutung.
 
Innovationen müssen immer wieder neu erarbeitet werden. Der Wettbewerb hat sich für die Europäer erheblich verschärft. Andere Staaten werden in ihren Anstrengungen in Zukunft nicht etwa nachlassen, sondern sie werden für uns noch kompetentere Wettbewerber werden. Es ist eben nicht mehr so, dass Schwellenländer nur kopieren – auch das ist ein riesiges Problem –, sondern sie bauen eigene innovative Wirtschaftszweige auf. Und damit werden wir mehr und mehr konfrontiert. Die Patentanmeldungen aus diesen Staaten – das wissen Sie, die Sie sich beim Europäischen Patentamt damit beschäftigen, am allerbesten – nehmen rasant zu. Wir dürfen unsere Hände also nicht in den Schoß legen. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge habe ich gesagt: Die Welt wartet nicht auf Europa, sondern wir müssen die Herausforderungen annehmen. Als größte Volkswirtschaft Europas kommt Deutschland in diesem Zusammenhang natürlich eine große Bedeutung zu. Das wird mir auch immer wieder von Seiten anderer Mitgliedstaaten gesagt.
 
Wir wollen also mit gutem Beispiel vorangehen. Dazu haben wir schon einige Schritte getan. Wir wollen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Erfinder und Unternehmer weiter verbessern. Ich glaube, dabei können wir einiges vorweisen. Zum 1. Januar des nächsten Jahres wird die Unternehmensteuerreform in Kraft treten, die mit einer Steuerbelastung von unter 30 Prozent Deutschland als Investitionsstandort stärker machen und im internationalen Feld gut platzieren wird. Diese Unternehmensteuerreform wird die Personengesellschaften, die in Deutschland eine eigene Rechtsform sind, ähnlich entlasten, wie es für die Körperschaften gilt. Damit wird auch den mittelständischen und den Familienbetrieben eine hervorragende Grundlage gegeben.
 
Wenn ich schon bei den mittleren und kleinen Betrieben bin, will ich daran erinnern, dass die Innovationskraft Europas wesentlich davon abhängt, dass diese Betriebe an der globalen Entwicklung entsprechend ihren Anteilen teilhaben können. Sie haben einen großen Anteil und bilden eine feste Grundlage des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells. Nur mit großen "Global Playern" wäre das, was wir in Europa mit Eigentum verbinden, nämlich die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, alleine nicht umzusetzen. Deshalb brauchen gerade beim Aufspüren von Marktnischen, bei flexiblen Reaktionen und bei innovativen, noch nicht ausgetesteten Produkten kleine und mittlere Unternehmen gute Chancen.
 
Für die kleinen und mittleren Unternehmen – das wissen wir aus der Diskussion über die Lissabon-Strategie in der Europäischen Union – sind die Fragen nach Bürokratieaufwand viel relevanter als für die großen Unternehmen. Deshalb war es ganz wichtig, dass wir im Rat im März den Beschluss gefasst haben, bis 2012 die Kosten für Bürokratie durch Statistikpflichten und Berichtspflichten auf europäischer Ebene genauso wie auch auf nationaler Ebene um 25 Prozent zu reduzieren. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich dazu auch verpflichtet.
 
Wir haben uns im Rahmen der Lissabon-Strategie für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch vorgenommen, die Ausgaben für Forschung und Innovation pro Mitgliedsland auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Deutschland hat dazu eine Hightech-Strategie entwickelt, in deren Rahmen wir bis 2009, also bis zum Ende der Legislaturperiode, 15 Millionen Euro für Spitzentechnologien zur Verfügung stellen. Neu daran ist – und das muss auch europäisches Denken werden –, dass wir uns ressortübergreifend anschauen, wo unsere Chancen auf dem Weltmarkt liegen, an welcher Stelle wir stehen, wo wir nachholen müssen, wo wir führend sind und was wir tun können für Ideen, die in vielen Fällen hier zwar patentiert werden, die aber manchmal noch einen langen Weg bis zur Markteinführung und zur Nutzung als Produkt haben. Wir wissen, dass wir in Deutschland – das gilt aber auch für andere europäische Länder – zwar viele Ideen haben, dass wir aber aus vielen Ideen nicht die Produkte gemacht haben, die letztlich den Wohlstand für die eigene Bevölkerung ermöglichen.
 
Wenn wir daran denken, dass der erste Computer von Konrad Zuse in Deutschland gebaut wurde, und wenn wir sehen, wo heute die große Wertschöpfung durch Hardware- und Software-Einrichtungen erwirtschaftet wird, dann hat Europa viele Gründe, zu überlegen, ob wir nicht ganz besondere Anstrengungen in den Bereichen unternehmen müssen, die mit der Digitalisierung zusammenhängen. Es gibt eine Vielzahl von europäischen Projekten. Ich nenne nur das Stichwort "Galileo". Sie wissen aber auch alle aus Ihren Erfahrungen, dass es bei den Kooperationen in Europa eine Vielzahl von Schwierigkeiten gibt. Auch hier ist Zeit ein ganz wichtiger Faktor, denn die anderen schlafen auch nicht.
 
Wir brauchen also ein Klima, in dem die Ideen zünden, in dem sie gesichert werden und in dem sie in Produkte umgesetzt werden können. In Deutschland haben wir gerade für die mittleren und kleineren Unternehmen im Rahmen unserer Hightech-Strategie ein neues Instrument eingeführt, die so genannte Forschungsprämie, über die kleinere und mittelständische Unternehmen einen Zuschuss von 25 Prozent bekommen können, wenn sie Forschungsaufträge an Hochschulen, Fachhochschulen oder Universitäten vergeben. Damit können wir in ganz besonderer Weise auch Innovationen in diesen Betrieben fördern. Die rechtliche Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist dabei ein ganz wichtiges Feld. Juristischer Abstimmungsbedarf führt für kleinere Unternehmen häufig zu hohen administrativen und finanziellen Kosten.
 
Die Bundesregierung hat unter meiner Führung den "Rat für Innovation und Wachstum" eingerichtet, in dem Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik darüber beraten, wie wir den Gang von der Idee zum Produkt beschleunigen, verbessern und sicherer machen können. Deshalb haben wir in diesem Innovationsrat auch einen Expertenkreis beauftragt, Bausteine für die Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse zwischen Hochschulen und Wirtschaft zu entwickeln. Wir wollen den Aufwand bei der Vertragsgestaltung minimieren und damit den Transfer von geistigem Kapital in marktfähige Erfindungen vereinfachen.
 
Zum Zweiten beschäftigt sich der Innovationsrat mit der Frage, wie Patente besser verwertet werden können. Dabei geht es um neue Zugänge und Instrumentarien. Zum einen geht es darum, den Patenthandel zu intensivieren. Zum anderen soll die Öffentlichkeit dafür sensibilisiert werden, Patente auch in Kreditverhältnissen stärker zu nutzen. Kleine und mittlere Unternehmen könnten vielleicht bessere Konditionen für Kredite bekommen, wenn sie Patente zur Verfügung haben. Das erfordert aber auch wieder ein neues Denken in der Bewertung der potenziellen Werthaltigkeit solcher Patente. Voraussetzung dafür ist natürlich wieder Ihre qualifizierte Arbeit. Wenn sich nämlich die, die solche Patente in ihrer Wirksamkeit bewerten sollen, aber nicht auf die qualitätsorientierte Erteilung des Patentes verlassen können, wäre dies ein ganz schlechter Anfang. Schließlich geht es in der Folge dessen, was ich eben sagte, im Innovationsrat auch darum, ob und wie immaterielle Vermögensgegenstände bilanziert werden können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um zukünftige Erfolge durch eine verbesserte Bewertung der Kapitalbasis am Anfang eines Unternehmens richtig einschätzen zu können.
 
Wir wissen, dass wir über die Grenzen der einzelnen Länder hinausblicken und internationale Kooperationen weiter stärken müssen. Dass Forschung und Entwicklung hier eine Schlüsselrolle spielen, ist klar. Forschung und Entwicklung sind eben die Antriebsfedern für unsere wirtschaftliche Dynamik. Das spiegelt sich auch im Preis des "European Inventor of the Year" wider, der heute Abend verliehen wird und der zeigt, welche große Bedeutung Sie diesem Feld beimessen. Ich denke, das tun Sie nicht nur aus Eigennutz, denn wenn keiner etwas erfindet, könnten Sie nichts mehr patentieren und alle wären arbeitslos. Ich denke, das tun Sie auch aus europäischer Gesinnung heraus, denn unser Kontinent soll dabei sein, wenn eine moderne und menschliche Welt gestaltet wird.
 
Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung – ich habe gerade die deutsche Komponente angesprochen – spiegelt sich natürlich auch im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm wider. Dieses Forschungsrahmenprogramm setzt neue Maßstäbe. Es ist mit einem Budget von 54 Milliarden Euro für die Periode der finanziellen Vorausschau das weltweit größte Forschungsförderprogramm. Mit einem beachtlichen Anteil der Mittel haben wir einen Europäischen Forschungsrat gegründet. Wir haben vor einigen Wochen in Berlin dessen Gründung gefeiert. Dieser Europäische Forschungsrat ist angelehnt an die Kriterien, nach denen die Deutsche Forschungsgemeinschaft arbeitet. Er wird die jeweiligen Forschungsmittel rein nach fachlicher Qualifizierung vergeben. Sie wissen, dass die europäischen Forschungsprogramme zum Teil nach regionalen Gesichtspunkten ausgesucht wurden. Das war auch gut so, um die Europäer zu mehr Gemeinsamkeit zu bringen. Sie sind aber nicht immer allen Standards der wissenschaftlichen Exzellenz gefolgt, sondern haben auch der Heranführung von Mitgliedstaaten an Forschungsprogramme gedient. Der Teil, der vom Europäischen Forschungsrat verwaltet wird, soll aber streng nach Exzellenzkriterien vergeben und verwaltet werden. Damit soll ein Beitrag dazu geleistet werden, dass die Grundlagenforschung wirklich neu und zukunftsfähig ausgerichtet werden kann.
 
Ein wichtiger Faktor in diesem Bereich ist auch die Nachwuchsförderung. Europa hat nämlich nicht zu viele Forscher und Ingenieure. Wenn wir wirklich einen Forschungsanteil in Höhe von 3 Prozent erreichen wollen – etwa ein Drittel davon staatlicherseits und zwei Drittel auf Seiten der Wirtschaft –, haben wir einem Mangel an Ingenieuren und Wissenschaftlern nicht nur in Deutschland zu begegnen, sondern in ganz Europa. Einerseits kann dieses Problem durch eine Zuwanderung der besten Köpfe auf dieser Welt gelöst werden. Dazu müssen wir uns aber auch darum bemühen, dass die Besten zu uns kommen. Hier ist der Wettbewerb groß. Viele Chinesen gehen von Amerika eher zurück nach China, als dass sie nach Europa kommen. Wir müssen aber auch unseren eigenen jungen Menschen exzellente Perspektiven in unseren europäischen Mitgliedstaaten geben, ansonsten werden sie auch in andere Bereiche der Welt gehen. Europa ist ein Kontinent, der insgesamt vor einem demografischen Wandel steht. Deshalb ist es ganz wichtig, jedem, der zu unserem Wohlstand beitragen kann, gute Forschungsrahmenbedingungen zu geben.
 
Natürlich spielt auch der Schutz der Innovation eine ganz große Rolle. Der Schutz der Innovation wird auch mit darüber entscheiden, ob es die Bereitschaft gibt, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Das gilt in der globalisierten Welt umso mehr, denn einige haben doch oft nur einen geringen zeitlichen Vorsprung. Deshalb ist ein funktionierendes Patentwesen von so großer Bedeutung. Durch Zeitablauf kann sich manches an Schutzmöglichkeiten erübrigen.
 
Der Forschungsaufwand muss sich natürlich auch rentieren. In Forschung und Innovation wird nur investieren, wer auch ein Stück Sicherheit hat, dass er das Investierte als Produkt wieder verwerten kann und ihm die Innovation nicht gestohlen wird. Deshalb ist der Schutz des geistigen Eigentums für uns nicht nur ein Thema, über das wir im europäischen Rahmen diskutieren, sondern auch ein Thema, das Deutschland im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft auf die Tagesordnung des G8-Gipfels im Juni in Heiligendamm gesetzt hat.
 
Wir werden im Übrigen eine EU-Initiative für eine Charta zum Umgang mit geistigem Eigentum an öffentlichen Forschungseinrichtungen und Hochschulen auf den Weg bringen. Damit wollen wir zumindest einen freiwilligen Verhaltenskodex einfordern, mit dem wir mehr Sicherheit für Forscher schaffen können. Eine solche Charta wäre eine sehr gute Möglichkeit, dort, wo wir noch nicht zu verbindlichen Rahmenregelungen globaler Art gekommen sind, von Kooperateuren in Schwellenländern den Schutz für europäische Unternehmen einzufordern. Wir könnten dann sagen, wir wollen euch auch die Beteiligung an innovativen Prozessen ermöglichen, wir wollen euch neue Produkte produzieren lassen, aber ihr müsst euch dann an bestimmte Regeln halten.
 
Wir wollen des Weiteren die transatlantische Partnerschaft stärken. Dazu wird am 30. April ein Treffen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union in Washington stattfinden. Wir wollen dabei auch eine ganze Reihe von Verbesserungen im Patentschutz anstreben. Ich glaube, wir haben im Bereich der transatlantischen Partnerschaft jenseits von Zöllen, über die wir multilateral in der Doha-Runde verhandeln, in den nichttarifären Bereichen eine Unmenge an unterschiedlichen Standards, Genehmigungsprozeduren und Testversuchen – angefangen von der Buchführung bis hin zur Zulassung von Medikamenten, Autos und vielen anderen Dingen –, für die wir Milliarden und Abermilliarden verschwenden, obwohl die grundsätzlichen Ansätze dieser Genehmigungsprozeduren sehr ähnlich sind. Sie wissen, welche Unterschiede zwischen dem europäischen Patentrecht und dem amerikanischen bestehen. Diese beiden Rechte entwickeln sich, wenn ich es richtig verfolge, eher nicht zusammen, sondern sehr unterschiedlich. Für Europa und die Vereinigten Staaten von Amerika, die zusammen 60 Prozent des Weltsozialprodukts erwirtschaften und 40 Prozent des Welthandels untereinander abwickeln, ist es allemal wichtig, hier in enger Beziehung zu bleiben. Dazu werden wir auf dem EU/USA-Gipfel am Ende dieses Monats ein Rahmenpapier verabschieden.
 
Wir wissen, dass ein funktionierendes Patentsystem die Innovationskraft erheblich fördern kann. Deswegen müssen wir technische Erfindungen einerseits weltweit offen darstellen, um andere dadurch zu weiteren Innovationen zu ermuntern. Andererseits bietet aber das Ausschließlichkeitsrecht einen Anreiz, um überhaupt in Forschung und Entwicklung zu investieren. Nach 30 Jahren Ihrer Tätigkeit müssen wir uns daher auch dem Zustand Europas widmen. Ich habe gesagt, wir haben ein 7. Forschungsrahmenprogramm. Wir haben jetzt einen Europäischen Forschungsrat. Wir sind dabei, ein Europäisches Technologieinstitut, das "European Institute of Technology", zu gründen. Dieses soll im Rahmen der angewandten Forschung zusammen mit der Wirtschaft vernünftige Spitzenprodukte entwickeln. Wir haben eine Reihe von großen europäischen Projekten. "Galileo" habe ich erwähnt. Um aber von einer geschlossenen Innovationsstrategie sprechen zu können, muss auch das europäische Patentsystem verbessert werden. Der Rahmen für eine europäische Patentreform ist eigentlich eindeutig definiert. Zu der Anhörung in der Europäischen Kommission gab es im letzten Jahr mehr als 2.500 Stellungnahmen von Unternehmen und Verbänden. An Interesse hat es also nicht gemangelt.
 
Mit überwältigender Mehrheit haben wir für einen neuen Anlauf beim Gemeinschaftspatent votiert. Ein Gemeinschaftspatent hat aber nur dann einen Wert, wenn es auch wirklich bestimmten Anforderungen entspricht. Ich nenne die Stichworte, die für mich in diesem Zusammenhang wichtig sind. – Ich habe darüber auch mit der Bundesjustizministerin gesprochen, weil das Thema Gemeinschaftspatent schon den Europäischen Rat in Lahti beschäftigt hat. – Die Stichworte, die wir hier einfordern müssen, lauten "einheitlich", "rechtssicher" und "erschwinglich". Man muss das Ganze auch mit einem erträglichen Aufwand schaffen können. Das alles hinzubekommen, scheint gar nicht so einfach. Wir sind immer so stolz auf unsere Vielfalt in Europa. Beim Gemeinschaftspatent müssen wir die Vielfalt aber auch ein Stück reduzieren. Wir brauchen deshalb entweder sehr schnell das Gemeinschaftspatent oder wenigstens eine Fortentwicklung der Systeme, die wir heute schon haben. Deshalb schließe ich mich allen Forderungen an, die lauten: So, wie es ist, darf es nicht mehr bleiben, sondern es muss vorangehen.
 
Ein Thema sind hier auch die Übersetzungen und die Kosten für Übersetzungen. Heute fallen bis zu 40 Prozent der Gesamtkosten eines Patents für Übersetzungen an. Das ist natürlich ein erheblicher Kostenbrocken. In jedem Staat, in dem das Patent gelten soll, muss der Patentinhaber eine Übersetzung in der jeweiligen Landessprache einreichen. Es gilt daher, das "Londoner Protokoll" zügig umzusetzen. Wer sich damit etwas näher befasst hat, weiß, dass das nicht ganz einfach ist. Das "Londoner Protokoll" sieht vor, nur den Patentanspruch in die Amtssprache des jeweiligen Geltungsstaats zu übersetzen. Auf die Übersetzung der umfangreichen Erläuterungen und Beschreibungen könnte dagegen verzichtet werden. Das Anmelde- und Erteilungsverfahren bliebe unverändert.
 
Ich darf Ihnen zusagen, dass ich auf meiner Ebene genauso wie die Bundesjustizministerin mit großem Elan dafür kämpfen werde, dass wir in diese Richtung weiterarbeiten. Wir werden aber keinen halbherzigen Kompromiss eingehen. Wenn nämlich die Entwicklung einmal auf dem falschen Weg ist, wird sie nicht so schnell wieder zu verändern sein. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um Ihre Unterstützung. Wir kennen die Bedürfnisse der international agierenden Unternehmen. Deshalb müssen wir an dieser Stelle agieren. Bei aller Freude und bei allem Stolz auf die jeweils eigene Sprache – ich glaube, in 27 Mitgliedstaaten haben wir 23 zugelassene Sprachen – ist es notwendig, insgesamt an Europa zu denken. Deshalb ist das "Londoner Protokoll" schon einmal ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
 
Als Zweites brauchen wir eine Reform der Patentgerichtsbarkeit. Wir brauchen eine einheitliche europäische Patentjustiz. Es nützt nichts, wenn ich nur Verfahren zur Zulassung von Patenten habe, aber kein System zur Schlichtung von Streitigkeiten. Alle Beteiligten müssen sich darauf verlassen können, dass solche Streitigkeiten in einem gemeinsamen europäischen Gerichtssystem ausgetragen werden können. Dazu gibt es ein weitgehend ausformuliertes Papier, den Entwurf eines europäischen Streitschlichtungsverfahrens – "EPLA". Er liegt seit langem auf dem Tisch. Dieser Entwurf umfasst die vom Europäischen Patentamt erteilten Patente. Das im Entwurf vorgesehene Gerichtssystem könnte aber auch Streitigkeiten über das zukünftige Gemeinschaftspatent einbeziehen. Das könnten wir relativ schnell erledigen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Nach diesem Motto müssen wir handeln. Wir werden auch mit Argusaugen darauf achten, dass nicht durch die Hintertür immer wieder kleine Häkchen und Ösen ausgelegt werden, sondern dass wir auf den richtigen Weg kommen.
 
Nachdem im letzten Jahr die Erfolge nicht so durchschlagend waren, hat die Europäische Kommission eine neue Mitteilung zur Patentstrategie vorgelegt. Gut daran ist, dass die Ergebnisse der Patentanhörung einigermaßen richtig wiedergegeben sind. – Ich weiß nicht, wer von der Kommission heute hier ist. Es wird sicher gleich darüber berichtet werden. – So richtig froh darüber sind wir aber noch nicht. Wir müssen gemeinsam weiterarbeiten. Die deutsche Präsidentschaft wird diese Arbeit auch sofort an die portugiesische weitergeben.
 
Ich nenne noch einmal die Stichworte: einfacher, erschwinglicher und rechtssicherer. Das muss unser Ziel sein. Dafür haben sich auch sehr viele auf dem Gipfel in Lahti eingesetzt. Für die Vervollkommnung einer wirklich in sich schlüssigen Forschungs- und Innovationsstrategie der Europäischen Union gehören die Elemente, die ich eben genannt habe, unverzichtbar dazu.
 
Meine Damen und Herren, wir sehen, dass Innovationsförderung und Patentschutz zwei zentrale Herausforderungen sind, wenn wir über die Zukunft unseres Kontinents reden. Ich bin davon überzeugt, dass wir sie meistern können, wenn wir wissen, wohin wir wollen, und wenn wir uns immer wieder auf das Erfolgsgeheimnis der europäischen Integration besinnen. Das waren immer der Geist der Gemeinsamkeit und der Geist der Kooperation. Nach Jahrhunderten voller Kriege haben wir gelernt – und das ist die wirkliche Erfolgsgeschichte der Europäischen Union –, dass es für das eigene Interesse mittel- und langfristig allemal besser ist, einen Kompromiss mit dem Nachbarn einzugehen, als kurzfristig einen eigenen Erfolg, auf Dauer aber Konflikte zu haben. Dieser Geist muss auch in den Bereich einziehen, der Sie betrifft.
 
Jean Monnet hat mit Blick auf die europäische Einigung einmal gesagt – ich zitiere: "Nichts ist möglich ohne die Menschen, nichts dauerhaft ohne Institutionen." Beides gehört zueinander. Wir sind heute in einer Institution, die sich bewährt hat. Eine solche Institution ist das Europäische Patentamt. Sie treibt den Einigungsprozess voran. Dass das gelingt – dabei komme ich wieder zurück auf Jean Monnet –, hat mit den Menschen zu tun, die als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Europäischen Patentamt arbeiten. Es hat mit denen zu tun, die hier Verantwortung tragen.
 
Deshalb lassen Sie mich zum Schluss, sehr verehrter Herr Professor Pompidou, Ihnen ein ganz herzliches Dankeschön für Ihre Arbeit im Europäischen Patentamt sagen, die noch ein wenig weitergehen wird und die Sie dann an Frau Brimelow übergeben werden, die Ihre Arbeit als Präsidentin fortführen wird. Herr Pompidou, Sie haben einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass das Europäische Patentamt zu den leistungsfähigsten Patentbehörden der Welt gehört. Ich darf dabei auch ein Dankeschön an Ihre Frau sagen, denn ohne die Ehepartner ist es oft gar nicht einfach, die Leistungen zu erbringen, die an führenden Stellen abverlangt werden.
 
Ich wünsche Ihnen, Frau Brimelow, schon jetzt viel Erfolg bei der Führung des Europäischen Patentamtes. Ich glaube, dass Sie mit genauso großer Leidenschaft und Freude die Arbeit fortsetzen werden. Dass der Einarbeitungs- und Übergabeprozess in guten Händen liegt, habe ich schon in den wenigen Minuten meiner Anwesenheit gesehen.
 
Das Motto unserer deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 heißt: "Europa gelingt gemeinsam." Sie sind ein Beispiel dafür, dass das stimmt, dass es richtig ist und dass dieses Motto jeden Tag mit Leben erfüllt werden muss. Wenn Europa ein Kontinent der Ideen und der Innovation bleiben soll, werden Sie daran einen wesentlichen Anteil haben. Das ist die Grundlage dafür, dass wir alle gemeinsam auch in den nächsten 50 Jahren in Frieden, Wohlstand und Sicherheit leben können. Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz, wünsche Ihnen noch interessante Tagungsbeiträge und viel Spaß bei Ihrer Arbeit im Europäischen Patentamt.
 
Herzlichen Dank.