Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In rund zwei Wochen beginnt die deutsche Doppelpräsidentschaft: im Rat der Europäischen Union und in der Gruppe der Acht. In wenigen Stunden beginnt der Europäische Rat – wie gesagt – in Brüssel, noch einmal unter finnischem Vorsitz.
Weil sich die finnische EU-Präsidentschaft dem Ende zuneigt, möchte ich ihr an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön sagen. Sie hat unter schwierigen Bedingungen vieles erreicht.
Der morgen stattfindende Rat wird sich vor allen Dingen mit dem Thema Erweiterungspolitik befassen. Wenn man sich an die Anfänge der Europäischen Union erinnert – damals waren es sechs Mitgliedstaaten –, so kann man heute sagen: Diese Erweiterungspolitik ist eine Erfolgsgeschichte Europas. Denn heute umfasst die Europäische Union fast das gesamte kontinentale Europa in Demokratie und Freiheit.
Mit Rumänien und Bulgarien werden am 1. Januar 2007 zwei weitere Mitglieder in die Europäische Union kommen. Beide Staaten haben zusätzliche Verpflichtungen zu weiteren Reformen nach dem Beitritt übernommen. Mit Kroatien und mit der Türkei laufen Verhandlungen. Auch die Staaten des westlichen Balkans – Sie wissen das – haben eine Beitrittsperspektive.
Man sieht also: Es ist viel in Bewegung und natürlich kommen die Fragen auf, wohin das führt und wie, also nach welchen Prinzipien die Europäische Union wachsen will. Genau darüber werden wir auf diesem Rat sprechen. Denn der Erfolg der Erweiterungspolitik muss darin liegen, dass die Europäische Union attraktiver und handlungsfähiger wird, und zwar sowohl nach außen als auch nach innen.
Wir alle wissen, dass die Perspektive zum Beitritt noch kein Garantieschein für eine spätere Mitgliedschaft ist. Es müssen die Kriterien eingehalten werden, auf die sich der EU-Vertrag gründet, und es müssen die Beitrittskriterien eingehalten werden, die durch die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union festgelegt sind. Dies sage ich nicht als Drohung, sondern ich sage es eher als Ansporn für die Länder, die beitreten wollen, und auch als Ansporn für die Gemeinschaft, die natürlich dafür sorgen muss, dass sie die notwendige Aufnahmefähigkeit hat.
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien haben eine solche Beitrittsperspektive. Aber bei aller Richtigkeit dieser Entscheidung wissen wir, dass die Perspektive eine mittlere ist und dass noch viele Vorbereitungen zu treffen sind, damit aus dieser Perspektive eine Aufnahme werden kann. Ich nehme Kroatien hier ausdrücklich aus. Die EU führt mit diesem Land bereits erfolgreiche Beitrittsverhandlungen. Aber auch hier ist es noch zu früh, um ein Datum für die Aufnahme nennen zu können.
Wir haben uns in diesen Tagen sehr stark mit der Frage der Türkei befasst. Es ging um die Umsetzung des Ankaraprotokolls. Die Vorgeschichte ist bekannt. Die Türkei hatte sich mit ihrer Unterschrift im Juli 2005 verpflichtet, das Ankaraprotokoll umzusetzen. Ich will noch einmal sagen: Es geht hier um keine Kleinigkeit, sondern um die Selbstverständlichkeit, dass Beitrittskandidaten und EU-Mitgliedstaaten einander politisch und diplomatisch anerkennen.
Die finnische Präsidentschaft – das will ich hier ausdrücklich hervorheben – hat bis zur letzten Minute alles unternommen, um der Türkei die Umsetzung des Ankaraprotokolls zu erleichtern. Aber wir müssen heute feststellen: Die Türkei hat das Protokoll nicht umgesetzt. Die EU hat darauf reagiert, und zwar, wie ich meine, gleichermaßen entschlossen wie besonnen. Sie hat besonnen reagiert, indem der Türkei stets deutlich gemacht wird, dass es sich für sie lohnt, weiter an Reformen zu arbeiten. Damit meine ich nicht nur das Ankaraprotokoll, sondern genauso meine ich tief greifende innenpolitische Reformen, bei denen es um Menschenrechte geht, bei denen es um die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger geht. Entschlossen hat die Europäische Union reagiert, indem die Europäische Kommission am 29. November dieses Jahres deutlich gemacht hat, dass es ein einfaches "Weiter so!" nicht geben kann. Sie hat die Empfehlung abgegeben, acht Verhandlungskapitel auszusetzen und kein Kapitel zu schließen, solange das Ankaraprotokoll nicht umgesetzt ist.
Genau dies haben die Außenminister am Montag dieser Woche als Grundlage für die Beratungen, die heute und morgen stattfinden, vereinbart. Ich bin sehr dankbar, dass es gelungen ist, diese Vereinbarung zu treffen. Die Außenminister haben damit gezeigt, dass auf Worte Taten folgen. Aber ich sage noch einmal: Die EU hat gleichermaßen besonnen und entschlossen reagiert. Das Ganze wird dadurch ergänzt und präzisiert, dass die Kommission dem Rat jährlich, also 2007, 2008 und 2009, berichten wird, ob und inwieweit die Türkei ihren Verpflichtungen nachgekommen ist. Auch diesen Überprüfungsmechanismus begrüße ich sehr. Denn es ist der Rat, der immer wieder einstimmig entscheiden muss, wie es mit den Beitrittsverhandlungen weitergeht.
Meine Damen und Herren, es besteht die Notwendigkeit – das wird auch während unserer Präsidentschaft eine Rolle spielen und an Bedeutung gewinnen –, Staaten enger an die Europäische Union zu binden, ohne ihnen bereits die Vollmitgliedschaft oder überhaupt etwas zusagen zu können. Das gilt im Hinblick auf die Ukraine, die Schwarzmeerregion und andere Regionen. Deshalb brauchen wir eine attraktive und dauerhafte Nachbarschaftspolitik, mit der wir die Länder enger an die Europäische Union heranführen, die selbst nicht Mitglied werden können. Ich bin sehr dankbar für die Initiativen des Auswärtigen Amtes, die sich sehr intensiv mit der Entwicklung einer solchen Nachbarschaftspolitik beschäftigen.
Wir werden auf dem Rat auch über die Innen- und Justizpolitik sprechen, vor allen Dingen über das Thema Migration. Wir alle kennen die Bilder verzweifelter Menschen und afrikanischer Flüchtlinge auf brüchigen Booten. Wir können dem nicht einfach zusehen, sondern wir müssen ein kohärentes und gemeinsames Handeln der Europäischen Union hinbekommen. Das bedeutet, dass wir auf der einen Seite mit Entschiedenheit gegen illegale Migration vorgehen müssen, dass wir aber auf der anderen Seite auch die Ursachen der illegalen Migration bekämpfen und uns mit der Situation in den afrikanischen Ländern auseinander setzen müssen. Beides gehört zusammen und bei beidem liegt noch sehr viel Arbeit vor uns.
Wir haben heute nicht nur über den aktuell stattfindenden Rat zu sprechen, der heute und morgen zusammentritt, sondern auch darüber, dass Deutschland in gut zwei Wochen die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Wir haben unsere Präsidentschaft unter das Motto "Europa gelingt gemeinsam" gestellt, aber man könnte auch sagen: Europa gelingt nur gemeinsam. Wir haben es erlebt: Ein gespaltenes, ein uneiniges Europa – sei es in außenpolitischen Fragen, sei es in innenpolitischen Fragen – macht die Stärke der Europäischen Union nicht deutlich. Deshalb gilt für die Außenpolitik wie für die innere Politik der Europäischen Union: Europa gelingt nur gemeinsam.
Das sage ich vor allen Dingen mit Bezug auf das, was ich das Zukunftsmodell der Europäischen Union nennen würde: das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell. Die Bundesregierung fühlt sich der Weiterentwicklung des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells verpflichtet. Denn wenn wir wirtschaftlich nicht stark sind, wenn wir den Menschen keine Perspektive geben können, dann wird Europa, dann wird die Europäische Union nach außen hin nicht stark auftreten können.
Wir brauchen eine erfolgreiche Politik in Brüssel. Das bedeutet aber – das möchte ich an dieser Stelle nur kurz einschieben –, dass auch die Mitgliedstaaten stark sein müssen. Die Bundesregierung wird den Weg der Reformen während ihrer EU-Ratspräsidentschaft entschieden weitergehen. Die Dinge gehören zusammen: Einfluss auf die Entwicklung der Europäischen Union haben wir nur dann, wenn bei uns die Arbeitslosigkeit sinkt, wenn wir auf dem Pfad des Wirtschaftswachstums bleiben und wenn unsere Unternehmen prosperieren. Innen- und Außenpolitik gehören an dieser Stelle sehr eng zusammen.
Wenn wir vorausschauend auf unsere Präsidentschaft blicken, müssen wir uns bewusst sein, dass in dieser Zeit unerwartete Ereignisse eintreten können. Alle vergangenen Präsidentschaften haben das erlebt. Selbstverständlich haben wir für unsere Präsidentschaft dennoch Schwerpunkte gesetzt. So wollen wir insbesondere die wirtschafts- und sozialpolitische Zukunft Europas in den Mittelpunkt unserer Präsidentschaft rücken. Auf dem Frühjahrsgipfel im März 2007 wollen wir deshalb besondere Impulse in den Bereichen geben, die für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, für die Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für die Entwicklung unseres Wohlstands wichtig sind. Wir wissen, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas natürlich nicht den Sonntagsreden trauen, sondern dass sie sich fragen: Bringt mir diese Europäische Union für mein eigenes Leben ein Stück Sicherheit, ein Stück Wohlstand? Deshalb müssen wir genau die Dinge, die damit zusammenhängen, weiterentwickeln oder neu angehen.
Da nenne ich das Thema Bürokratieabbau – oder "bessere Rechtsetzung", wie das in der europäischen Sprache heißt. Hier gibt es in der letzten Zeit einen Mentalitätswandel und wir wollen ihn fördern. Ein Mehr an Richtlinien bedeutet nicht in jedem Fall ein Mehr an wirtschaftlicher Prosperität für die Europäische Union. Deshalb werden wir den deutschen Kommissar, Herrn Verheugen, bei diesen Dingen unterstützen.
Wir werden auch eine Diskussion über die Frage der Einführung eines Diskontinuitätsprinzips in der Europäischen Union führen. Das hat etwas zu tun mit dem Verhältnis der Institutionen in Europa: Kommission, Parlament und Rat. Für uns, in einem nationalen Parlament, ist es selbstverständlich, dass mit dem Ende einer Legislaturperiode Gesetzentwürfe verfallen. Auf europäischer Ebene gibt es so etwas nicht. Wir sollten darüber reden, dass es doch nicht sein kann, dass ein neues Parlament gewählt wird, eine neue Kommission bestellt wird, aber das Einzige, was konstant bleibt, die nicht bearbeitete Richtlinie ist. Das wird ein langer Prozess, das wird nicht schnell gehen; ich weiß, welches dicke Brett wir da bohren. Aber wir sollten darüber sprechen, weil es für das Selbstverständnis von Parlament, Kommission und Rat ganz wichtig ist.
Die Vollendung des Binnenmarktes wird ein weiterer Schwerpunkt sein. Wir müssen uns noch einmal vergegenwärtigen – ich glaube, die Zahlen der Kommission sind da sehr eindrücklich –, dass der Binnenmarkt seit Anfang der 90er-Jahre ein Mehr von über 2,5 Millionen Arbeitsplätzen gebracht hat. Das muss man den Menschen immer und immer wieder sagen: Freiheitliche Regeln im einheitlichen Binnenmarkt in der Europäischen Union und gemeinsame Standards bringen ein Mehr an Beschäftigung und machen uns insgesamt stärker.
Wir werden einen Schwerpunkt setzen bei Forschung und Bildung. Das 7. Forschungsrahmenprogramm wird während unserer Präsidentschaft starten. Das, was uns der Bundespräsident immer wieder gesagt hat – wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind –, müssen wir dadurch umsetzen, dass wir innovativ sind, dass wir forschungsstark sind, dass Europa an der Spitze ist. Das muss das Credo sein, das sich auch sich hinter dem trockenen Ziel des Lissabonprozesses verbirgt.
Ein weiterer Schwerpunkt wird die Energiepolitik sein. Die Kommission wird hier eine Reihe von Mitteilungen machen. Deshalb wollen wir beim Frühjahrsgipfel einen Aktionsplan für eine Energiepolitik für Europa verabschieden. Wir brauchen einen echten Binnenmarkt für Strom und Gas. Wir wollen natürlich die Klimaschutzziele erfüllen und müssen deshalb der Energieeffizienz eine besondere Bedeutung beimessen. Wir wollen die erneuerbaren Energien ausbauen. Wir wollen die Energieforschung entwickeln. Wenn wir als Europa beim Klimaschutz weiter eine Vorreiterrolle spielen wollen, müssen wir auch Ziele für die Zeit nach 2012, also nach dem Auslaufen des Kiotoprotokolls, festlegen. Eine gemeinsame Verhandlungslinie der Europäischen Union wäre sehr gut, gerade mit Blick auf unsere G 8-Präsidentschaft.
Natürlich möchten wir, dass der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März zu einem Höhepunkt unseres Ratsvorsitzes wird. Es ist historisch beachtlich – um es ganz vorsichtig zu sagen –, dass es 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge möglich ist, in einem wiedervereinigten Deutschland, in einer nicht mehr geteilten Stadt Berlin ein Europa zu feiern, das auch die mittel- und osteuropäischen Länder umfasst. Dafür kann man gar nicht dankbar genug sein.
Dieser 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge und die Verabschiedung einer Berliner Erklärung werden uns noch einmal daran erinnern, dass wir natürlich ein gemeinsames Selbstverständnis und ein gemeinsames Werteverständnis brauchen. Europa gründet sich auf geschichtliche Erfahrungen, die wir zusammen gemacht haben; häufig waren dies sehr leidvolle Erfahrungen. Europa gründet sich auf dem Willen, die Zukunft gemeinsam besser zu gestalten. Europa gründet sich aber vor allem auf Werten, die wir alle teilen: Freiheit und Gerechtigkeit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte.
Nur auf der Grundlage dieser Wertegemeinschaft konnte nach dem Zweiten Weltkrieg ein historisch neues Miteinander von größeren und kleineren Mitgliedstaaten entstehen. Das heißt, europäische Integration muss auch in Zukunft wertegebunden sein.
Das führt unweigerlich zum Verfassungsvertrag. Die Verantwortung, die wir haben, ist uns klar. Ich will aber an dieser Stelle auch deutlich sagen: Das wird ein Prozess sein, der während unserer Präsidentschaft nicht beendet werden wird. Wir wissen: Nizza ist nicht genug. Wir brauchen einen Verfassungsvertrag.
Aber wir haben die Aufgabe, zum Ende unserer Ratspräsidentschaft hin einen Fahrplan vorzulegen, wie es weitergehen kann. Ich hielte es für ein historisches Versäumnis – das will ich hier ganz klar sagen –, wenn wir es nicht schaffen würden, bis zur nächsten Europawahl mit der Substanz dieses Verfassungsvertrages so umzugehen, dass wir wirklich ein Ergebnis abliefern können. Ich werde mich während unserer Präsidentschaft jedenfalls intensiv dafür einsetzen – das gilt auch für die gesamte Bundesregierung –, dass auf Grundlage der Gemeinsamkeit unserer Werte ein solcher Verfassungsvertrag zustande kommt.
In den Außenbeziehungen der Europäischen Union wird uns – das spüren wir alle – immer mehr Gemeinsamkeit abverlangt. Wir sind als Mitgliedstaat alleine gar nicht in der Lage, den Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen und internationalen Terrorismus zu begegnen. Deshalb tun wir das im Verbund mit unseren Partnern in der Europäischen Union und in der NATO. Wir müssen in unserer Präsidentschaft natürlich dafür sorgen, dass in all den aktuellen Fällen mit einer und mit einer starken Stimme gesprochen wird.
Ich glaube, sagen zu können, dass es in den letzten Jahren große Fortschritte bei der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gegeben hat. Die Europäische Union hat – wenn wir uns das einmal vergegenwärtigen – erfolgreich dazu beigetragen, die Krise in Mazedonien zu entschärfen, in Indonesien einen Friedensprozess einzuleiten und im Kongo einer neuen Krise vorzubeugen.
Was haben wir nicht gerade im Zusammenhang mit dem Einsatz im Kongo über hohe Risiken diskutiert. Ich glaube aber, dass es besser ist, über die Risiken vorher zu diskutieren, damit sie einen nicht unerwartet treffen. Aber ich finde, die Europäische Union hat ihren Auftrag an dieser Stelle großartig erfüllt.
Ich bin froh, dass unsere Soldatinnen und Soldaten nach Hause kommen können. Der Prozess im Kongo im Zusammenhang mit der Wahl hat das Land ein Stück weiter gebracht. Das heißt aber nicht, dass unser Engagement für den Kongo jetzt aufhört. Wir werden dort weiterhin Polizisten ausbilden. Die UNO wird sich weiterhin engagieren. Wir haben in Bosnien-Herzegowina Verantwortung übernommen und sind auch im Gazastreifen aktiv tätig.
Die Europäische Union ist sich ihrer wachsenden Verantwortung also nicht nur bewusst, sondern sie nimmt sie auch wahr. Aber sie weiß auch: Sie ist nur Teil der Zusammenarbeit mit der NATO und in den Vereinten Nationen. Die Handlungsfähigkeit der Europäer muss sich in jedem einzelnen Fall, in jeder Krise wieder neu bewähren. Die Stabilisierung des westlichen Balkans wird dabei in den kommenden Monaten mit Sicherheit ein Schwerpunkt unserer Arbeit sein. In Serbien wird es Wahlen geben. Wir werden danach vom Sondergesandten Ahtisaari einen Vorschlag bekommen, wie es mit dem Kosovo weitergeht. Wir wissen schon heute, dass dann die größte zivile Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Entwicklung im Kosovo begleiten muss und dass es dort zu einer völlig neuen Qualität bei der Zusammenarbeit von Europäischer Union und NATO kommen muss.
Wir sind parallel zur Stabilisierung des Balkans natürlich mit Afghanistan beschäftigt, mit dem Nachbarkontinent Afrika und dessen Konflikten und vor allen Dingen mit dem Nuklearprogramm des Irans. Wir wissen: Deutschland und auch die Europäische Union dürfen und werden sich nicht überheben. Deutschland kennt seine Möglichkeiten, aber auch seine Grenzen. Wir sollten jedoch nicht übersehen, dass wir durch die Doppelpräsidentschaft natürlich ein zusätzliches Maß an Verantwortung tragen.
Ich habe in den letzten Tagen mit Präsident Mubarak und Ministerpräsident Olmert gesprochen; denn wir wissen, dass wir gerade im Nahen Osten vor riesigen Problemen stehen. Bei der Verabschiedung des Libanonmandats waren wir uns alle hier einig: Die militärische Option, die Präsenz unserer Soldaten vor der libanesischen Küste, ist nur eine Facette des notwendigen politischen Prozesses. So schwierig dies ist, so einig ist sich die Bundesregierung darin, dass der Weg über eine Belebung des Nahostquartetts führen muss. Dazu gehören immer wieder auch ungewöhnliche Schritte, wie zum Beispiel die Reise des Außenministers nach Syrien.
Ich sage ganz deutlich: Diese Reise war ein Risiko – kein Zweifel. Wir wissen auch, dass durch diese Reise Widerspruch ausgelöst wurde. Kurzfristig hat sie auch noch nicht den Erfolg gebracht, den wir uns wünschen. Ich sage aber auch: Diese Reise steht geradezu symbolisch für das Verständnis der Außenpolitik der gesamten Bundesregierung.
Dieses Verständnis beinhaltet Dialogbereitschaft auch dort, wo sie nicht selbstverständlich ist – aber immer auf der Grundlage klarer Prinzipien und Werte. Dialogbereitschaft und klare Prinzipien und Werte – das gehört für uns zusammen und das wird auch weiterhin so sein.
Dies werden wir auch im Zusammenhang mit Syrien, mit dem Iran und mit den Konflikten in allen anderen Ländern so handhaben.
Meine Damen und Herren, eine sechsmonatige Präsidentschaft beinhaltet immer die Gefahr einer gewissen Kurzatmigkeit bei der Bewältigung riesiger Aufgaben. Deshalb finde ich es richtig, dass sich die Europäische Union zu Dreierpräsidentschaften entschlossen hat. Das heißt, gemeinsam mit Portugal und Slowenien werden wir auch über die Zeit unserer Präsidentschaft hinausreichende Dinge planen, um eine gewisse Kontinuität zu erreichen. Dazu wird zum Beispiel die Vorbereitung eines EU-Afrika-Gipfels im zweiten Halbjahr des Jahres 2007 gehören, bei dem wir Portugal unterstützen werden.
Wir sind natürlich gut beraten, über das halbe Jahr hinaus zu denken und über den Tellerrand Europas hinaus zu schauen. Deshalb werden die Programme, die wir während der EU-Präsidentschaft durchführen, und die Arbeiten im Rahmen unserer G-8-Präsidentschaft natürlich verknüpft. Das bedeutet ganz elementar, dass wir unsere Partnerschaft mit den östlichen Nachbarn der EU, zum Beispiel mit Russland, und unser Verhältnis zu Zentralasien sowie zu China und Indien entwickeln.
Ich begrüße es außerordentlich, dass der Bundesaußenminister die zentralasiatische Region und auch die nordafrikanische Region besucht hat. Ich glaube, wir müssen verstehen, dass diese Regionen auch für die Zukunft der Europäischen Union von zentralem Interesse sind. Wenn man sich einmal anschaut, mit welcher Vehemenz Länder wie China heute eine sehr bewusste Außenpolitik betreiben, dann wird klar, dass die EU gut beraten ist, auch diese Regionen immer wieder im Blickfeld zu haben und sich um sie zu kümmern.
Meine Damen und Herren, auch während unserer G-8-Präsidentschaft setzen wir einen Schwerpunkt: Wir wollen zeigen, dass es in unserer Bundesregierung den unbedingten Willen zur politischen Gestaltung der Globalisierung gibt. Die Globalisierung muss fairen Regeln verpflichtet sein. Ich sage das ausdrücklich: Dazu gehören auch Sozial- und Umweltstandards.
Natürlich – das ist vielleicht unser größtes Problem – bezweifeln viele Menschen heute, dass das überhaupt noch gelingen kann. Ich glaube aber, wir dürfen diesen Anspruch nie aufgeben. In der Globalisierung bedeutet das natürlich eine Gemeinsamkeit mit vielen Partnern auf der Welt und zum Teil auch das Bohren sehr dicker Bretter: Wir müssen Barrieren für internationale Investitionen abbauen, wir müssen die Kapitalmärkte transparenter machen, wir wollen das geistige Eigentum effektiver schützen, wir wollen die Produktpiraterie bekämpfen und wir müssen vor allen Dingen – dazu ist die G-8-Präsidentschaft auch geeignet – im Klimaschutz weiterkommen, nämlich durch eine Verbesserung der Energieeffizienz und durch eine erhöhte Sicherheit hinsichtlich der Energieversorgung. Schließlich wollen wir während unserer G-8-Präsidentschaft auch Afrika eine Perspektive geben, was wir zu einem besonderen Schwerpunkt machen werden.
Meine Damen und Herren, die Doppelpräsidentschaft im Rat der EU und in der G 8 wird uns alle fordern. Deshalb bitte ich bei der Umsetzung auch um die Unterstützung aller. Die Regierung alleine kann das nicht schaffen. Es kommt deshalb auf die Zusammenarbeit von Bundesregierung, Bundestag, sowohl mit den Koalitionsfraktionen als auch mit den Oppositionsfraktionen, und auf die Zusammenarbeit mit den Ländern an. Machen wir diese Präsidentschaften zu einem gemeinsamen nationalen Anliegen.
In diesem Jahr war die Welt für einige wunderbare Wochen im Sommer in unserem Land wahrlich zu Gast bei Freunden. Nächstes Jahr können wir ganz anders, aber jeder an seinem Platz dazu beitragen, das Wachstum und die Verantwortung in der Welt zu fördern und Europa gemeinsam gelingen zu lassen. Denn ich glaube, eines ist gewiss: Europa war und Europa bleibt die Friedensidee des 20. Jahrhunderts und Europa bleibt die Zukunftsidee des 21. Jahrhunderts. Dafür lohnt sich die Mühe, dafür lohnt sich auch die Arbeit an Kompromissen. Lassen Sie uns das gemeinsam anpacken. Dann können wir etwas schaffen. - Herzlichen Dank.